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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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wurde.
    »Hilfe!«, schrie Elaine außer sich. »Oh, sie hat mich verletzt! Sie hat mich verletzt!«
    »Seien Sie still!« Dianas Stimme war hart wie Stahl. »Sie sind nicht verletzt. Sie sind bloß schwammig und weich. Aber wenn Sie jetzt Krach schlagen, pumpe ich Sie mit Blei voll, so wahr Sie leben. Setzen Sie sich hin! Alle beide – setzt euch hin !«
    Elaine, deren Gesicht unter dem Rouge bleich geworden war, gehorchte schnell. Nach kurzem Zögern sank auch Charley wieder in seinen Stuhl.
    »Also«, fuhr Diana fort, mit der Pistole einen steten Bogen beschreibend, der sie beide einschloss. »Ihr seht wohl, dass ich nicht zum Scherzen aufgelegt bin. Das solltet ihr vor allem erst mal begreifen. Aus meiner Sicht hat keiner von euch hier irgendwas zu sagen, und eher bringe ich euch beide um, als dass ich diesen Raum verlasse, ohne bekommen zu haben, was ich will. Ich hatte gefragt, ob er Ihnen die Ehe versprochen hat.«
    »Ja«, sagte Elaine trotzig.
    Die Pistole wanderte zu Charley.
    »Ist das wahr?«
    Er leckte sich die Lippen, nickte.
    »Mein Gott!«, stieß Diana verächtlich hervor. »Und du gibst es auch noch zu. Wie komisch das ist, wie absurd – wenn es mir nicht so ernst wäre, müsste ich lachen!«
    »Jetzt pass mal auf!«, murmelte Charley.« Ich sehe mir das nicht mehr allzu lange an, verstehst du.«
    »O doch, das tust du! Du bist verweichlicht genug, um dir alles Mögliche anzusehen.« Sie wandte sich der zitternden Elaine zu. »Haben Sie Briefe von ihm?«
    Elaine schüttelte den Kopf.
    »Sie lügen«, sagte Diana. »Gehen Sie und holen Sie sie! Ich zähle bis drei. Eins –«
    Elaine stand auf und ging in das andere Zimmer. Diana schob sich am Tisch entlang, um sie die ganze Zeit im Auge zu behalten.
    »Machen Sie schon!«
    Elaine kehrte mit einem kleinen Päckchen in der Hand zurück, das Diana ihr abnahm und in die Tasche ihres Blazers steckte.
    »Danke. Sie haben sie alle sorgfältig aufbewahrt, wie ich sehe. Setzen Sie sich hin, und dann werden wir uns ein wenig unterhalten.«
    Elaine nahm wieder Platz. Charley trank seinen Whiskey Soda bis auf den letzten Tropfen aus und lehnte sich mit dumpfem Gesichtsausdruck zurück.
    »Also«, sagte Diana. »Ich erzähle euch jetzt eine kleine Geschichte. Sie handelt von einer jungen Frau, die einst in den Krieg ging und einen Mann kennenlernte, den besten und mutigsten Mann, dem sie je begegnet war. Sie verliebte sich in ihn und er sich in sie, und all die anderen Männer, die sie kannte, wurden zu fahlen Schatten im Vergleich zu diesem einen. Doch eines Tages wurde sein Flugzeug abgeschossen, und als er wieder aufwachte, hatte er sich verändert. Er merkte es selbst nicht, aber er hatte vieles vergessen und war ein anderer geworden. Die junge Frau war traurig darüber – sie sah, dass er sie nicht mehr brauchte, und so blieb ihr nichts übrig, als ihm Lebewohl zu sagen.
    Also ging sie fort. Eine Zeitlang weinte sie sich jede Nacht in den Schlaf, doch er kam nie wieder zu ihr zurück, und so vergingen fünf Jahre. Irgendwann wurde ihr zugetragen, dass dieselbe Verwundung, die sie und ihn auseinandergebracht hatte, sein Leben zu zerstören drohte. Er erinnerte sich an nichts Wichtiges mehr – daran, wie stolz und anständig er einmal gewesen war, welche Träume er einmal gehabt hatte. Und da wusste die Frau, dass sie versuchen musste, zu retten, was von seinem Leben noch übrig war. Sie hatte das Recht dazu, denn sie war die Einzige, die sich an all das, was er vergessen hatte, noch erinnerte. Aber es war zu spät. Sie konnte nicht mehr zu ihm durchdringen – sie war nicht grob genug, nicht rauh genug dafür – er hatte so vieles vergessen.
    Also griff sie sich einen Revolver, diesem hier ganz ähnlich, und folgte dem Mann in die Wohnung einer armen, harmlosen Ratte von einem Mädchen, die ihn sich geangelt hatte. Sie wollte ihn entweder zur Besinnung bringen – oder mit ihm zusammen zu dem Staub zurückkehren, wo nichts mehr von Bedeutung ist.«
    Sie hielt inne. Elaine rutschte nervös auf ihrem Stuhl herum. Charley beugte sich vor, das Gesicht in den Händen.
    »Charley!«
    Das Wort, scharf und deutlich ausgesprochen, schreckte ihn auf. Er ließ die Hände fallen und blickte zu ihr auf.
    »Charley!«, wiederholte sie mit dünner, klarer Stimme. »Erinnerst du dich an Fontenay im späten Herbst?«
    Ein verwirrter Ausdruck huschte über sein Gesicht.
    »Hör zu, Charley. Pass auf. Hör auf jedes Wort. Erinnerst du dich an die Pappeln in der

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