Winterträume
Keil zwischen Herz und Lunge. Jetzt galt es, mit aller Macht zu versuchen, seine Sünden zu bereuen – nicht weil ihm die Angst im Halse saß, sondern weil er Gott beleidigt hatte. Er musste Gott von seiner Reue überzeugen, und dazu musste er zuerst einmal selbst davon überzeugt sein. Nach einem zähen Gewissenskampf brachte er sich zitternd dahin, sich selbst zu bemitleiden, und hielt sich damit für bußfertig. Wenn er keinem anderen Gedanken Raum gäbe und es ihm gelänge, diesen Gemütszustand unvermindert zu erhalten, bis er den großen, aufrecht stehenden Sarg beträte, dann hätte er wieder einmal eine Krise in seinem religiösen Leben heil überstanden.
Eine Zeitlang indessen ergriff eine teuflische Idee teilweise von ihm Besitz. Wenn er jetzt, ehe die Reihe an ihn kam, nach Hause ginge und seiner Mutter sagte, er sei zu spät gekommen und der Priester sei schon fort gewesen? Das barg aber leider die Gefahr in sich, beim Lügen ertappt zu werden. Als Alternative konnte er einfach behaupten, er sei zur Beichte gewesen, aber das würde bedeuten, dass er am nächsten Tag die Kommunion vermeiden musste, denn die Kommunion, mit ungeläuterter Seele empfangen, würde in seinem Munde zu Gift werden; er würde der Verdammnis anheimfallen und als Krüppel vom Altar hinken müssen.
Wieder ließ sich Pater Schwartz’ Stimme vernehmen:
»Und für deine…«
Die Worte verebbten in einem heiseren Gemurmel, und Rudolph sprang erregt auf. Er fühlte, dass es ihm unmöglich war, heute zu beichten. Noch zögerte er voller Anspannung. Dann knarrte der Beichtstuhl; ein Tappen und ein längeres Schurren waren zu hören. Der Schieber war herabgefallen, der Samtvorhang zitterte. Die Versuchung war zu spät über ihn gekommen…
»Segne mich, Vater, denn ich habe gesündigt… Ich bekenne vor dem allmächtigen Gott und dir, Vater, dass ich gesündigt habe… Seit meiner letzten Beichte sind ein Monat und drei Tage vergangen… Ich bekenne mich schuldig… den Namen des Herrn missbraucht zu haben…«
Das war eine leichte Sünde. Seine Flüche waren purer Übermut gewesen – sie zu gestehen war eher eine Prahlerei.
»…mich niederträchtig gegen eine alte Dame benommen zu haben.«
Der schwache Schatten hinter dem Gitterfenster bewegte sich ein wenig.
»Wie, mein Kind?«
»Die alte Lady Swenson«, in Rudolphs Gemurmel kam ein frohlockender Unterton. »Sie hatte unseren Baseball, den wir ihr ins Fenster geworfen hatten, und wollte ihn nicht herausgeben; da brüllten wir ihr den ganzen Nachmittag die Ohren voll. So um fünf Uhr bekam sie einen Anfall, und der Arzt musste geholt werden.«
»Weiter, mein Kind.«
»Ich habe daran gezweifelt, dass… dass ich der Sohn meiner Eltern bin.«
»Was?« Die Frage klang entschieden fassungslos.
»Ich habe gezweifelt, dass ich der Sohn meiner Eltern bin.«
»Wieso?«
»Oh, nur so – aus Überheblichkeit«, antwortete der kleine Büßer leichthin.
»Du meinst, du warst dir zu gut, der Sohn deiner Eltern zu sein?«
»Ja, Vater.« Er frohlockte nun weniger.
»Fahre fort.«
»Ich bin ungezogen gegen meine Mutter gewesen und habe sie beschimpft. Ich habe Leute hinter ihrem Rücken verleumdet. Ich habe Zigaretten geraucht…«
Damit hatte Rudolph die harmloseren Vergehen hinter sich gebracht und näherte sich den Sünden, die zu beichten eine Qual war. Er hielt seine Finger wie Gitterstäbe vors Gesicht, als müsse er seine Herzensnot da hindurchpressen.
»…schmutzige Worte und unreine Gedanken und Begierden«, flüsterte er ganz leise.
»Wie oft?«
»Weiß nicht.«
»Einmal? Zweimal die Woche?«
»Zweimal in einer Woche.«
»Hast du diesen Begierden nachgegeben?«
»Nein, Vater.«
»Warst du allein, als sie dich überfielen?«
»Nein, Vater, ich war mit zwei Jungs und einem Mädel.«
»Weißt du nicht, mein Kind, dass du die Gelegenheit zur Sünde ebenso fliehen musst wie die Sünde selbst? Schlechte Gesellschaft führt zu bösen Wünschen, und böse Wünsche führen zu bösen Taten. Wo warst du, als das passierte?«
»In einer Scheune, hinter dem Haus von –«
»Ich will keine Namen hören«, unterbrach ihn der Priester scharf.
»Also es war oben in dieser Scheune, und das Mädchen und ein Junge, die redeten Sachen – unanständige Sachen, und ich blieb dabei.«
»Du hättest weggehen sollen – und auch dem Mädchen sagen, es solle gehen.«
Weggehen! Er konnte doch Pater Schwartz nicht erzählen, wie heiß sein Blut gepocht und welch seltsame
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