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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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und sie sank langsam zu Boden.
    Sofort schlossen sich Knowletons Arme um sie.
    »Liebstes, Liebstes!«, rief er. »Ich hätte es dir nicht sagen dürfen. Ich hätte es dir nicht sagen dürfen!«
    In dem Augenblick, da sie diese Worte hörte, wusste Myra endgültig und ohne jeden Zweifel, dass sie ihn nie würde heiraten können, und als sie das erkannt hatte, warf sie ihm einen wilden, erbarmungswürdigen Blick zu und fiel zum ersten Mal in ihrem Leben einfach in Ohnmacht.
    IV
     
    Als sie wieder ganz zu sich kam, lag sie im Bett. Offensichtlich hatte eines der Hausmädchen sie entkleidet, denn nachdem sie die Leselampe eingeschaltet hatte, sah sie, dass ihre Kleider ordentlich weggehängt worden waren. Sie lag eine Weile da, hörte gedankenverloren zu, wie die Uhr in der Halle zwei Uhr schlug. Plötzlich ließen sie ihre überreizten Nerven vor Schreck hochfahren: wieder dieses Kinderweinen aus dem Nebenzimmer. Der Morgen schien mit einem Mal unendlich weit entfernt. Ganz in der Nähe verbarg sich irgendein düsteres Geheimnis – ihre fiebrige Phantasie gaukelte ihr das Bild eines chinesischen Kindes vor, das dort drüben im Halbdunkel aufgezogen wurde.
    In einem Anfall von Panik schlüpfte sie in ein Negligé, riss die Tür auf und schlich den Flur entlang bis zu Knowletons Zimmer. Es war sehr dunkel im anderen Flügel, aber als sie seine Tür aufstieß, konnte sie beim schwachen Licht der Korridorbeleuchtung sehen, dass sein Bett leer und nicht benutzt worden war. Ihre Angst nahm zu. Warum war er zu dieser Nachtstunde nicht in seinem Zimmer? Sie steuerte auf Mrs. Whitneys Boudoir zu, doch bei dem Gedanken an die Hunde und ihre eigenen nackten Knöchel stieß sie einen leisen Laut der Entmutigung aus und ging an der Tür vorbei.
    Kurz darauf hörte sie den Klang von Knowletons Stimme, der aus der Richtung eines schmalen Lichtspalts ganz am Ende des Korridors kam, und eilte freudig erregt auf ihn zu. Als sie gerade noch knapp einen halben Meter von der Tür entfernt war, entdeckte sie, dass sie durch den Spalt hineinsehen konnte – und nach einem einzigen flüchtigen Blick verlor sie jede Absicht, den Raum zu betreten.
    Vor einem offenen Kamin, mit hängendem Kopf, in einer Haltung, die grenzenlose Niedergeschlagenheit ausdrückte, stand Knowleton; in einer Ecke, die Füße auf einen Tisch gelegt, saß Mr. Whitney in Hemdsärmeln, sehr ruhig und gelassen, und sog zufrieden an einer riesigen schwarzen Pfeife. Neben ihm auf dem Tisch saß ein Teil von Mrs. Whitney – das heißt, Mrs. Whitney ohne Haare. Auf dem vertrauten mächtigen Oberkörper thronte zwar Mrs. Whitneys Kopf, aber völlig kahl; auf ihren Wangen zeigten sich bereits kurze Bartstoppeln, und in ihrem Mund steckte eine große, schwarze Zigarre, die sie mit offensichtlichem Vergnügen paffte.
    »Tausend«, stöhnte Knowleton, als gäbe er Antwort auf eine bestimmte Frage. »Sagen wir zweitausendfünfhundert und wir kommen den Tatsachen näher. Ich habe heute von dem Zwinger der Grahams die Rechnung für diese Pudel bekommen. Die knöpfen mir dort zweihundert ab und wollen die Viecher schon morgen wieder zurückhaben.«
    »Nun«, sagte Mrs. Whitney mit tiefer Baritonstimme, »dann schicken Sie sie halt zurück. Wir brauchen sie nicht mehr.«
    »Das ist ja noch das Wenigste«, fuhr Knowleton verdrossen fort. »Dann gibt es noch Ihr Honorar und Ihres, Appleton, dann den Kerl, der den Chauffeur gemacht hat, die siebzig Statisten für zwei Abende, noch dazu die Kapelle – das sind schon fast zwölfhundert –, dann kommt noch die Miete für die Kostüme und dieses blöde Chinesenporträt dazu sowie das Schmiergeld fürs Personal. Himmel! Kann gut sein, dass den ganzen nächsten Monat lang hier irgendwelche Rechnungen eintrudeln.«
    »Na ja«, sagte Appleton, »dann reißen Sie sich doch um alles in der Welt zusammen, und ziehen Sie die Sache bis zum bitteren Ende durch. Ich gebe Ihnen mein Wort drauf, das Mädchen ist bis morgen Mittag Schlag zwölf aus dem Haus.«
    Knowleton sank in einen Sessel und verbarg sein Gesicht in den Händen. »Oh…«
    »Haltung! Jetzt ist alles vorbei. Da draußen im Flur dachte ich einen Moment lang schon, Sie bringen die Sache mit der Chinesin nicht fertig.«
    »Nach diesem Varieté war ich vollkommen erledigt«, stöhnte Knowleton. »Das war so ziemlich der gemeinste Streich, den man einem Mädchen spielen kann, und sie hat so verdammt viel Humor bewiesen!«
    »Ihr blieb auch nichts anderes übrig«, sagte

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