Winterträume
überspanntesten Schuppen der Stadt.«
»Und was passiert da? Du musst mir sagen, was da passiert.«
John Chestnut atmete plötzlich tief ein und sah sich vorsichtig um, als fürchtete er, belauscht zu werden.
»Also, um ehrlich zu sein«, sagte er leise und ernst, »wenn etwas rauskäme, würde mir etwas ziemlich Unangenehmes passieren.«
Sie setzte sich auf, und die Kissen wirbelten wie Blätter um sie. »Willst du etwa behaupten, in deinem Leben gäbe es irgendetwas Zwielichtiges?«, rief sie mit einem Lachen in der Stimme. »Und das soll ich dir glauben? Nein, John, gib du dich damit zufrieden, die ausgetretenen Wege zu gehen und dich abzuplacken und abzuplacken.«
Ihr Mund war eine kleine kecke Rose, die ihm diese Worte wie Dornen zuwarf. John nahm Hut und Mantel vom Stuhl und ergriff seinen Stock.
»Zum letzten Mal: Kommst du heute Abend mit, um zu sehen, was es zu sehen gibt?«
»Und was ist das? Oder wer? Gibt es in diesem Land denn irgendwas Sehenswertes?«
»Nun«, sagte er gelassen, »du würdest zum Beispiel den Prince of Wales sehen.«
»Was?« Sie sprang von der Chaiselongue auf. »Ist er wieder in New York?«
»Heute Abend wird er hier sein. Würdest du ihn gerne sehen?«
»Ob ich ihn gern sehen würde? Ich habe ihn noch nie gesehen. Ich habe ihn immer verpasst. Ich würde ein Jahr meines Lebens dafür geben, ihn für eine Stunde zu sehen.« Ihre Stimme zitterte vor Erregung.
»Er kommt aus Kanada. Heute Nachmittag besucht er hier inkognito den großen Preiskampf, und ich weiß zufällig, wo er heute Abend sein wird.«
Rags stieß einen schrillen Begeisterungsschrei aus: »Dominic! Louise! Germaine!«
Die drei Zofen kamen angerannt. Im Zimmer vibrierte auf einmal grelles, hektisches Licht.
»Dominic, den Wagen!«, rief Rags auf Französisch. »Louise, mein goldenes Kleid und die Schuhe mit den echten goldenen Absätzen. Und die großen Perlen – alle Perlen – und das Diamantenei und die Strümpfe mit dem Saphirmuster. Germaine, rufen Sie einen mobilen Schönheitssalon. Lassen Sie mir wieder ein Bad ein, eiskalt und zur Hälfte mit Mandelcreme gefüllt. Dominic, wie der Blitz zu Tiffany’s, bevor sie schließen. Besorgen Sie mir eine Brosche, einen Anhänger, eine Tiara, irgendwas, egal was, mit dem Wappen des Hauses Windsor.«
Sie nestelte an den Knöpfen ihres Kleids, das von ihren Schultern glitt, noch bevor John sich umgedreht hatte, um zu gehen.
»Orchideen!«, rief sie ihm nach. »Unbedingt Orchideen! Vier Dutzend, damit ich vier aussuchen kann.«
Und dann flatterten Zofen im Zimmer hin und her wie verschreckte Vögel. »Parfum, Louise, machen Sie den Parfumkoffer auf, und meine rosa Zobelpelze und meine diamantbesetzten Strumpfbänder und das Olivenöl für meine Hände! Hier, nehmen Sie diese Sachen! Das auch – und das – aua! – und das!«
Geziemend sittsam schloß John Chestnut die Tür von außen. Die sechs Vermögensverwalter verstopften nach wie vor den Eingangsraum in unterschiedlichen Posen der Ermattung, des Überdrusses, der Resignation und der Verzweiflung. »Gentlemen«, verkündete John Chestnut, »ich fürchte, Miss Martin-Jones ist von ihrer Reise viel zu erschöpft, um sich heute Nachmittag mit Ihnen zu unterhalten.«
III
»Dieser Ort heißt Loch im Himmel, einfach so.«
Rags sah sich um. Sie befanden sich in einem Dachgarten unter dem kalten Aprilnachthimmel. Die Sterne blinkten frostig, und in der westlichen Dunkelheit hing ein mondförmiger Eissplitter. Doch wo sie standen, war es so warm wie im Juni, und die Paare, die auf dem Milchglasboden dinierten oder tanzten, scherten sich nicht um den abweisenden Himmel.
»Woher kommt die Wärme?«, fragte sie flüsternd, als sie zu einem Tisch gingen.
»Das ist eine neue Erfindung, mit der die warme Luft am Aufsteigen gehindert wird. Ich weiß nicht, wie es genau funktioniert, aber auf diese Weise können sie sogar mitten im Winter den Dachgarten geöffnet haben –«
»Wo ist der Prince of Wales?«, fragte sie nervös.
John sah sich um.
»Er ist noch nicht da. Er wird frühestens in einer halben Stunde kommen.«
Sie seufzte tief.
»Zum ersten Mal seit vier Jahren bin ich aufgeregt.«
Vier Jahre – ein Jahr weniger als die Dauer seiner Liebe zu ihr. Er fragte sich, ob sie als übermütige, bezaubernde Sechzehnjährige, wenn sie bis tief in die Nacht mit Offizieren im Restaurant saß, bevor diese am nächsten Tag nach Brest aufbrechen mussten, und das glitzernde Leben sich in den traurigen,
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