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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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flüsterte der junge Mann mit bebender Stimme. Er warf einen Blick hinter sich. »Ich muss dich allein sprechen.«
    John Chestnut erhob sich sofort, und Rags sah, dass sein Gesicht so weiß geworden war wie die Serviette in seiner Hand. Er entschuldigte sich bei ihr und zog sich mit dem Neuankömmling an einen leeren Tisch in der Nähe zurück. Rags beobachtete die beiden einen Augenblick lang neugierig, bevor sie den Blick wieder auf den Tisch weiter hinten richtete. Würde man sie noch einmal herüberbitten? Der Prinz hatte sich einfach erhoben und verbeugt und war hinausgegangen. Vielleicht hätte sie warten sollen, bis er zurückkam, doch obwohl sie vor Aufregung noch immer angespannt war, war sie in anderer Hinsicht wieder sie selbst. Ihre Neugier war befriedigt, und jeder weitere Impuls musste von ihm ausgehen. Sie fragte sich, ob sie tatsächlich irgendeinen spezifischen Charme verspürt hatte, und mehr noch fragte sie sich, ob er eine erkennbare Reaktion auf ihre Schönheit gezeigt hatte.
    Der bleiche Mensch namens Monte verschwand, und John kam an den Tisch zurück. Es erschreckte Rags, ihn bis zur Unkenntlichkeit verändert zu sehen. Er sackte auf seinem Stuhl zusammen wie ein Betrunkener.
    »John! Was ist los?«
    Statt zu antworten, griff er nach der Champagnerflasche, doch seine Finger zitterten so sehr, dass verschütteter Wein einen nassen gelben Ring um sein Glas bildete.
    »Ist dir nicht gut?«
    »Rags«, sagte er mit unsicherer Stimme, »mit mir ist es aus.«
    »Was soll das heißen?«
    »Mit mir ist es aus, hast du verstanden?« Er brachte ein gequältes Lächeln zustande. »Seit über einer Stunde sind sie mit einem Haftbefehl hinter mir her.«
    »Was hast du getan?«, fragte sie erschrocken. »Was ist das für ein Haftbefehl?«
    Das Licht erlosch für die nächste Darbietung, und unerwartet ließ John den Oberkörper auf den Tisch sinken.
    »Worum geht es?«, wiederholte sie hartnäckig und mit wachsender Besorgnis. Sie beugte sich zu ihm, doch seine Antwort war fast unhörbar.
    »Mord?« Sie spürte, dass ihr Körper eiskalt wurde.
    Er nickte. Sie ergriff ihn an beiden Armen und versuchte ihn in eine aufrechte Haltung zu schütteln, wie man einen Mantel zurechtschüttelt. Seine Augäpfel verdrehten sich unkoordiniert.
    »Ist das wahr? Haben sie Beweise?«
    Wieder nickte er benommen.
    »Dann musst du sofort aus dem Land verschwinden! Verstehst du mich, John? Du musst sofort hier weg, bevor sie dich hier suchen!«
    Er blickte panisch und voll Entsetzen zum Eingang.
    »Großer Gott!«, rief Rags. »Warum tust du denn nichts?« Verzweifelt sah sie sich in alle Richtungen um, und plötzlich wurde ihr Blick starr. Sie zog zischend die Luft ein, zögerte und flüsterte ihm dann eindringlich ins Ohr.
    »Bist du bereit, heute Nacht nach Kanada zu fliehen, wenn ich es arrangiere?«
    »Wie denn?«
    »Ich werde es arrangieren – wenn du dich ein bisschen zusammenreißt. John, ich bin es, Rags, hörst du mir zu? Ich will, dass du hier sitzen bleibst und dich nicht von der Stelle rührst, bis ich wiederkomme!«
    In der nächsten Minute hatte sie im Schutz der Dunkelheit den Dachgarten durchquert.
    »Baron Marchbanks«, flüstere sie unmittelbar hinter seinem Stuhl. Mit einer Handbewegung forderte er sie auf, sich zu setzen.
    »Haben Sie heute Nacht in Ihrem Wagen noch Platz für zwei weitere Passagiere?«
    Einer seiner Begleiter drehte sich unversehens um.
    »Der Wagen seiner Lordschaft ist besetzt«, sagte er schroff.
    »Es ist schrecklich wichtig.« Ihre Stimme zitterte.
    »Nun ja«, sagte der Prinz unsicher, »ich weiß nicht so recht.«
    Lord Charles Este sah den Prinzen an und schüttelte den Kopf.
    »Ich halte das nicht für ratsam. Angesichts der Gegenorder von zu Hause ist die Angelegenheit ohnehin delikat. Als oberste Priorität hatten wir vereinbart, dass es keine Komplikationen geben dürfe.«
    Der Prinz runzelte die Stirn.
    »Das ist doch keine Komplikation«, wandte er ein.
    Este sprach Rags direkt an.
    »Warum ist es so wichtig?«
    Rags zögerte.
    »Weil« – sie errötete unversehens – »wir durchbrennen.«
    Der Prinz lachte.
    »Ausgezeichnet!«, rief er. »Abgemacht! Este ist nur etwas förmlich. Bringen Sie ihn her. Wir fahren doch bald, oder?«
    Este sah auf seine Uhr.
    »Auf der Stelle!«
    Rags eilte fort. Sie wollte die ganze Reisegesellschaft von dem Dach wegbringen, solange das Licht noch gedämpft war.
    »Schnell!«, rief sie John ins Ohr. »Wir überqueren die Grenze – mit dem

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