Winterträume
großer Toboggan die Majestic mit dem nordamerikanischen Kontinent verbunden, und sie begann die allerfeinsten Leute der Welt auszuspeien – bei denen es sich um Gloria Swanson handelte, zwei Einkäufer von Lord & Taylor, den Finanzminister von Graustark mit einem Vorschlag, wie man die Schulden finanzieren konnte, und einen afrikanischen König, der den ganzen Winter über versucht hatte, irgendwo zu landen, und entsetzlich seekrank war.
Die Fotografen gaben ihr Bestes, als der Strom von Passagieren den Kai überschwemmte. Applaus wurde laut beim Anblick von zwei Tragbahren mit zwei Bewohnern des Mittleren Westens, die sich an ihrem letzten Abend in Freiheit bis zur Besinnungslosigkeit betrunken hatten.
Nach und nach leerte sich das Deck, doch als die letzte Flasche Bénédictine das Ufer erreicht hatte, waren die Fotografen noch immer auf dem Posten. Der Schiffsoffizier, der die Ausschiffung überwachte, stand noch immer am Ende der Gangway und blickte zuerst auf seine Uhr und dann zum Deck, als wäre ein wichtiger Teil der Ladung noch immer an Bord. Und dann stieg von den Zuschauern am Pier ein langgezogenes »Aaah!« auf, als ein letzter Tross sich von Deck B zu ergießen begann.
Zuerst kamen zwei französische Kammerzofen, die kleine violette Hunde trugen, gefolgt von einer Schwadron von Trägern, blind und unsichtbar unter zahllosen Blumensträußen und Buketts. Eine weitere Zofe führte ein Waisenmädchen von französischem Aussehen und mit traurigen Augen an der Hand, und unmittelbar darauf folgte der zweite Offizier, der drei neurasthenische Schäferhunde hinter sich herzerrte, zu ihrem und seinem Verdruss.
Pause. Dann erschien Kapitän Sir Howard George Witchcraft an der Reling und neben ihm etwas, was wie ein Stoß prachtvoller Silberfuchspelze aussah.
Nach fünf Jahren in den Hauptstädten Europas war Rags Martin-Jones in ihre Heimat zurückgekehrt!
Rags Martin-Jones hieß Rags und nicht Rex. Sie war halb Mädchen und halb Blume, und als sie Kapitän Sir Howard George Witchcraft die Hand schüttelte, lächelte sie, als hätte man ihr gerade den neuesten, originellsten Witz erzählt. Alle, die den Pier noch nicht verlassen hatten, spürten, wie dieses Lächeln in der Aprilluft schwebte, und drehten sich danach um.
Sie kam die Gangway langsam herunter. Ihr Hut, ein kostspieliges, unergründliches Experiment, war unter ihrem Arm zerknüllt, und ihre kurzen Knaben- oder Sträflingshaare versuchten vergeblich, sich von der Hafenbrise ein wenig zerstrubbeln oder verwehen zu lassen. Ihr Gesicht war wie sieben Uhr an einem Hochzeitsmorgen bis auf die Stelle, wo sie ein angeberisches Monokel in ein Auge von klarem Kinderblau gesteckt hatte. Alle paar Schritte schoben ihre langen Wimpern das Monokel heraus, und sie lachte, verärgert und fröhlich, und steckte das arrogante Augenglas in das andere Auge.
Voilà! Ihre hundertfünf Pfund erreichten den Pier, der zu wanken und zu schwanken schien, von ihrer Schönheit überwältigt. Mehrere Gepäckträger fielen in Ohnmacht. Ein großer gefühlsseliger Hai, der dem Schiff über den Ozean gefolgt war, tat einen verzweifelten Sprung, um sie ein letztes Mal zu sehen, bevor er gebrochenen Herzens in die Tiefen des Meeres zurücktauchte. Rags Martin-Jones war wieder zu Hause.
Niemand aus ihrer Familie war zur Begrüßung erschienen, denn sie war das einzige lebende Mitglied ihrer Familie. Im Jahr 1912 waren ihre Eltern gemeinsam mit der Titanic untergegangen, weil sie sich im Diesseits nicht trennen wollten, und so war es gekommen, dass das Martin-Jones-Vermögen von fünfundsiebzig Millionen einem sehr kleinen Mädchen an dessen zehntem Geburtstag zugefallen war. So etwas bezeichnet der Verbraucher gern als eine Schande.
Rags Martin-Jones (an ihren richtigen Namen konnte sich niemand mehr erinnern) wurde nun von allen Seiten fotografiert. Das Monokel fiel hartnäckig immer wieder heraus, und sie lachte und gähnte und steckte es wieder hinein, so dass keines der Bilder scharf war mit Ausnahme der Filmaufnahme. Doch auf allen Fotos war ein aufgeregter, gutaussehender junger Mann zu sehen, der sie auf dem Kai begrüßt hatte und in dessen Blick verzehrende Liebesglut entflammt war. Er hieß John M. Chestnut, hatte für das American Magazine schon die Geschichte seines Erfolgs geschrieben und war unsterblich in Rags verliebt, seit sie wie die Gezeiten dem Einfluss des Sommermondes unterlag.
Als Rags ihn zu bemerken geruhte, gingen sie zusammen den Pier entlang;
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