Winterträume
etwas, was alle anderen offenbar wahnsinnig komisch fanden und was in ihren Ohren nur wie ein Gewirr unverständlicher Laute klang. Nach dem ersten Schrecken des Lichtkegels hatte sie instinktiv ihre Züge geglättet, und nun lächelte sie. Ihr Lächeln war ein Akt höchster Selbstbeherrschung. Sie verlieh ihm einen Ausdruck unendlicher Unpersönlichkeit, als wäre sie sich des Scheinwerferlichts so wenig bewusst wie des Versuchs des Komikers, mit ihrem Liebreiz sein Spiel zu treiben, und als wäre sie gleichzeitig belustigt über einen unendlich weit entfernten Jemand, der seine Pfeile ebenso gut gegen den Mond hätte abschießen können. Sie war in diesem Augenblick keine »Dame« – eine Dame hätte vergrämt gewirkt, mitleiderregend oder lächerlich –, nein, Rags hatte ihre Haltung zum bloßen Bewusstsein ihrer überwältigenden Schönheit reduziert und saß strahlend da, bis der Komiker sich so mutterseelenallein fühlte wie nie zuvor. Er gab ein Zeichen, und der Scheinwerfer wurde ausgeschaltet. Es war vorbei.
Es war vorbei, der Komiker verließ den Tanzboden, und die ferne Musik setzte wieder ein. John beugte sich zu Rags hinüber.
»Es tut mir leid. Ich konnte es nicht verhindern. Du warst großartig.«
Sie tat den Zwischenfall mit einem nonchalanten Lachen ab – und zuckte zusammen, denn auf einmal saßen nur noch zwei Männer an dem Tisch auf der anderen Seite des Gangs.
»Er ist weg!«, rief sie bekümmert.
»Mach dir keine Gedanken, er kommt wieder. Er muss wahnsinnig vorsichtig sein, verstehst du, und wahrscheinlich wartet er mit einem seiner Begleiter draußen, bis es wieder dunkel wird.«
»Und warum muss er so vorsichtig sein?«
»Weil er eigentlich gar nicht in New York ist. Er ist sogar unter einem seiner Decknamen hier.«
Das Licht erlosch wieder, und fast gleichzeitig trat ein großgewachsener Mann aus der Dunkelheit an ihren Tisch.
»Darf ich mich vorstellen?«, sagte er kurz angebunden in arrogantem, britischem Tonfall zu John. »Lord Charles Este, Begleiter von Baron Marchbank.« Er sah John durchdringend an, wie um sich zu vergewissern, dass dieser die Bedeutung des Namens begriffen hatte.
John nickte.
»Ich darf mich auf Ihre Diskretion verlassen.«
»Selbstverständlich.«
Rags tastete auf dem Tisch nach ihrem unberührten Champagnerglas und leerte es auf einen Zug.
»Baron Marchbanks bittet Ihre Dame, für die Dauer der nächsten Nummer an seinen Tisch zu kommen.«
Die Männer sahen Rags an. Schweigen trat ein.
»Na gut«, sagte sie und warf John einen fragenden Blick zu. Er nickte abermals. Sie stand auf und schlängelte sich mit heftig klopfendem Herzen an den Tischen vorbei, bis sie die halbe Terrasse umrundet hatte; dann verschmolz ihre schmale, goldschimmernde Gestalt mit dem Tisch im Halbdunkel.
IV
Die Nummer näherte sich ihrem Ende; John Chestnut saß allein an seinem Tisch und rührte in seinem Champagnerglas zusätzliche Bläschen auf. Kurz bevor das Licht anging, vernahm er das leise Rascheln von Goldstoff, und Rags ließ sich atemlos und mit roten Wangen auf ihren Stuhl sinken. In ihren Augen schwammen Tränen.
John sah sie missmutig an.
»Und – was hat er gesagt?«
»Er hat nicht viel gesagt.«
»Hat er überhaupt etwas gesagt?«
Mit zitternder Hand ergriff sie ihr Champagnerglas.
»Er hat mich nur angesehen, solange es dunkel war. Und er hat ein paar triviale Bemerkungen gemacht. Er sah genauso aus wie auf den Fotos, nur sehr gelangweilt und müde. Er hat sich nicht einmal nach meinem Namen erkundigt.«
»Verlässt er New York heute Nacht?«
»In einer halben Stunde. Er und seine Begleiter haben draußen einen Wagen, und sie wollen vor Sonnenaufgang die Grenze überquert haben.«
»Und findest du ihn – faszinierend?«
Sie zögerte, und dann nickte sie langsam.
»Das finden alle«, bestätigte John finster. »Erwarten sie dich noch einmal?«
»Ich weiß nicht.« Sie sah unsicher hinüber, doch die berühmte Persönlichkeit hatte sich abermals von ihrem Tisch an ein geheimes Örtchen zurückgezogen. Als sie sich wieder umdrehte, kam ein unbekannter junger Mann, der kurz im Haupteingang gewartet hatte, eilig an ihren Tisch – eine totenbleiche Erscheinung in einem unordentlichen und unpassenden Straßenanzug – und legte John Chestnut eine zitternde Hand auf die Schulter.
»Monte!«, rief John und schrak dabei so überrascht auf, dass er sein Champagnerglas umwarf. »Was ist los? Was ist passiert?«
»Sie sind uns auf der Fährte!«,
Weitere Kostenlose Bücher