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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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im Kreis. Sie sah, wie John die Hand des Detektivs ergriff und herzlich schüttelte, und sie sah, wie der Detektiv grinste und seine Waffe einsteckte. Die Musik hatte wieder eingesetzt, und das Mädchen, das in Ohnmacht gefallen war, tanzte plötzlich mit Lord Charles Este. John lief hin und her, klopfte Leuten auf die Schulter, lachte und schüttelte Hände. Dann kam er zu ihr, unbeschwert und unschuldig wie ein Kind.
    »War es nicht herrlich?«, rief er.
    Rags spürte, dass ihre Knie weich wurden. Sie tastete hinter sich nach einem Stuhl.
    »Was war das?«, rief sie benommen. »Habe ich das alles geträumt?«
    »Aber keineswegs! Du bist hellwach. Ich habe es arrangiert, Rags, verstehst du? Ich habe das alles für dich arrangiert. Ich habe es mir ausgedacht! Das einzig Echte an der ganzen Sache war mein Name!«
    Rags taumelte unversehens gegen seinen Frack, hielt sich an seinen Rockaufschlägen fest und wäre zu Boden gesunken, wenn John sie nicht geistesgegenwärtig aufgefangen hätte.
    »Schnell etwas Champagner!«, rief er, und dann befahl er dem Prince of Wales, der in der Nähe stand: »Bestellen Sie sofort meinen Wagen! Miss Martin-Jones ist vor Aufregung ohnmächtig geworden.«
    V
     
    Der Wolkenkratzer ragte klotzig über dreißig Fensterreihen auf, bevor er sich zu einem anmutigen Zuckerhut von strahlendem Weiß verschlankte. Dann strebte er weitere dreißig Meter empor, bis seine letzte zerbrechliche Geste himmelwärts die eines bloßen länglichen Turms war. Am höchsten seiner hohen Fenster stand Rags Martin-Jones ungeschützt in der steifen Brise und sah auf die Stadt hinunter.
    »Mr. Chestnut lässt fragen, ob Sie jetzt in sein Privatbüro kommen wollen.«
    Gehorsam bewegten sich ihre schmalen Füße über den Teppich in einen hohen, kühlen Raum mit Blick auf den Hafen und auf das weite Meer.
    John Chestnut wartete an seinem Schreibtisch; Rags ging auf ihn zu und legte ihm die Arme um die Schultern.
    »Bist du auch wirklich wirklich vorhanden?«, fragte sie besorgt. »Kannst du mir das versichern?«
    »Du hast mir erst eine Woche vor deiner Ankunft geschrieben«, verteidigte er sich bescheiden, »sonst hätte ich eine Revolution arrangieren können.«
    »Hast du das Ganze nur meinetwegen inszeniert?«, wollte sie wissen. »War diese ganze nutzlose, wundervolle Sache nur für mich inszeniert?«
    »Nutzlos?« Er überlegte. »Nun ja, am Anfang war es das. Aber im letzten Augenblick habe ich einen wichtigen Mann aus der Restaurantbranche eingeladen, und während du am anderen Tisch warst, habe ich ihm die Idee mit dem Nachtclub verkauft.«
    Er sah auf die Uhr.
    »Eine Sache muss ich noch erledigen – dann haben wir gerade genug Zeit, vor dem Lunch zu heiraten.« Er nahm den Telefonhörer ab. »Jackson?… Schicken Sie bitte ein Telegramm in dreifacher Ausfertigung nach Paris, Berlin und Budapest, und lassen Sie die zwei Hochstapler, die sich als Herzöge ausgeben und um Schwartzberg-Rheinmünster würfeln, hinter die polnische Grenze expedieren. Wenn das Herzogtum nicht mitspielen will, senken Sie das Währungsverhältnis bis zu null Komma null und tiefer. Ach, und dieser Idiot Blutchdak macht wieder den Balkan unsicher und will einen neuen Krieg vom Zaun brechen. Verfrachten Sie ihn auf das nächste Schiff nach New York, oder lassen Sie ihn in ein griechisches Gefängnis werfen.«
    Er legte auf und wandte sich lachend an die Kosmopolitin, die ihn fassungslos anstarrte.
    »Nächste Haltestelle City Hall. Und dann geht es nach Paris, wenn es dir recht ist.«
    »John«, fragte sie ihn eindringlich, »wer war der Prince of Wales?«
    Er wartete, bis sie im Aufzug waren, der im Nu zwanzig Stockwerke hinuntersauste. Dann beugte er sich vor und berührte den Liftboy an der Schulter.
    »Nicht so schnell, Cedric. Die Dame ist es nicht gewohnt, von solchen Höhen hinunterzustürzen.«
    Der Liftboy drehte sich um und lächelte. Sein Gesicht war blass, oval, von dunkelblondem Haar eingerahmt. Rags wurde feuerrot.
    »Cedric stammt aus Wessex«, erklärte John. »Die Ähnlichkeit ist – vorsichtig ausgedrückt – verblüffend. Prinzen sind nicht für ihre Diskretion berühmt, und ich vermute, dass Cedric ein Welfe nicht ganz astreinen Stammbaums ist.«
    Rags nahm die Kette mit dem Monokel ab und warf sie Cedric um den Hals.
    »Ich danke Ihnen«, sagte sie schlicht, »für das zweitaufregendste Erlebnis meines Lebens.«
    John Chestnut rieb sich die Hände wie ein orientalischer Händler.
    »Beehren Sie meinen Laden

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