Winterträume
mit Ihrem Besuch, meine Dame«, sagte er diensteifrig. »Bestes Bazar von Stadt!«
»Was haben Sie anzubieten?«
»Nun, Mamsell, heute hätten wir ausnehmend wuuun-der-schö-ne Liebe im Angebot.«
»Packen Sie sie ein, Händler«, rief Rags Martin-Jones. »Das könnte sich lohnen!«
›Das Vernünftigste‹
I
In der großen amerikanischen Mittagspause räumte der junge George O’Kelly sorgfältig und mit scheinbarer Konzentration seinen Schreibtisch auf. Niemand im Büro sollte wissen, dass er in Eile war, denn Erfolg ist eine Sache der Ausstrahlung, und es macht sich nicht gut, alle Welt merken zu lassen, dass man in Gedanken siebenhundert Meilen weit von der Arbeit entfernt ist.
Sobald er jedoch das Gebäude verlassen hatte, biss er die Zähne aufeinander und lief los. Aus dem Augenwinkel nahm er hier und da den heiteren Vorfrühlingsmittag wahr, der den Times Square erfüllte und es sich keine sieben Meter über den Köpfen der Menge wohl sein ließ. Die Leute blickten alle leicht nach oben und atmeten in vollen Zügen die Märzluft ein, und die Sonne blendete sie so, dass die meisten kaum jemand anderen sahen, sondern nur die eigene Reflexion am Himmel.
George O’Kelly, dessen Gedanken mehr als siebenhundert Meilen weit weg waren, fand es draußen überall grässlich. Er sprang in die Subway und starrte fünfundneunzig Blocks lang fieberhaft auf eine Reklametafel, die ihm veranschaulichte, dass er eine Chance von nur eins zu fünf hatte, seine Zähne noch zehn Jahre lang zu behalten. An der 137th Street brach er sein Studium der Werbekünste ab, stieg aus der Subway und lief erneut los, lief unermüdlich und voll banger Sorge, bis er zu Hause war – in jener gottverlassenen Gegend, wo er ein Zimmer in einem hässlichen Hochhaus bewohnte.
Dort auf der Kommode lag er, der Brief – in heiliger Tinte, auf gesegnetem Papier –, und in der ganzen Stadt konnte, wer die Ohren spitzte, George O’Kellys Herz schlagen hören. Er betrachtete die Kommata, die Tintenkleckse und die verwischten Fingerabdrücke am Rand; dann warf er sich verzweifelt auf sein Bett.
Er steckte in einem Schlamassel, einem dieser fürchterlichen Schlamassel, wie sie im Leben der Armen normal sind, ja die Armut wie Raubvögel verfolgen. Die Armen kommen hoch oder unter die Räder, sie kommen vom Weg ab oder, auf ihre Art, doch irgendwie weiter – aber für George O’Kelly war die Armut noch so neu, dass er erstaunt gewesen wäre, hätte jemand die Einzigartigkeit seines Falls bestritten.
Knapp zwei Jahre zuvor hatte er sein Examen am Massachusetts Institute of Technology mit Auszeichnung bestanden und eine Stelle bei einer Bauingenieursfirma in Tennessee angenommen. Sein Leben lang hatte er nichts als Tunnel, Wolkenkratzer, große Staudämme und Brücken im Kopf gehabt, hohe Brücken mit drei Trägern, Tänzern gleich, die sich in einer Reihe an den Händen hielten, mit Köpfen so hoch wie Städte und Röcken aus Kabelsträngen. Es war George O’Kelly romantisch erschienen, den geschwungenen Lauf der Flüsse und die Gestalt der Berge zu verändern, damit das Leben auch in uraltem Ödland, wo es nie zuvor Wurzeln geschlagen hatte, erblühen konnte. Er liebte den Stahl, und in seinen Träumen war immer genug davon in seiner Reichweite, flüssiger Stahl, Stahl in Barren, Blöcken, Stangen und formlosen, fügsamen Massen, Stahl, der auf ihn wartete, als Farbe und Leinwand für seine Hände. Ein unerschöpflicher Vorrat an Stahl, den das Feuer seiner Einbildungskraft in Formen herber Schönheit goss…
Gegenwärtig arbeitete er als Versicherungsangestellter für vierzig Dollar die Woche, und sein Traum drohte ihm zu entgleiten. Das dunkle kleine Mädchen, das den erwähnten Schlamassel, diesen furchtbaren, unerträglichen Schlamassel angerichtet hatte, wartete in einer Stadt in Tennessee darauf, dass er sie zu sich holte.
Fünfzehn Minuten später klopfte seine Vermieterin an die Tür und fragte ihn mit aufreizender Freundlichkeit, ob er nicht, da er ja nun zu Hause sei, etwas essen wolle. Er schüttelte den Kopf, doch die Unterbrechung hatte ihn aufgerüttelt, und so stand er auf und schrieb ein Telegramm.
»Brief bedrückt mich hast du die Nerven verloren Gedanke an Trennung ist Unsinn du bist nur verärgert willst du mich nicht auf der Stelle heiraten bin sicher alles wird gut…«
Eine panische Minute lang zögerte er und fügte dann in einer Schrift, die kaum als die seine zu erkennen war, hinzu: »Komme jedenfalls
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