Winterträume
Tynes Vorfahren befand sich zufälligerweise der Mann, der diese Gesellschaft damals vor dem Sezessionskrieg gegründet hatte. Jene Anzeige erschien also auf der Seite, die großen Namen vorbehalten bleibt, illustriert mit dem Bild einer schielenden jungen Dame an der Hand eines abstoßenden Herrn mit doppeltem Gebiss. So jedenfalls kamen ihre Bilder heraus; die Öffentlichkeit freute sich über die Entdeckung, dass die beiden trotz ihres vielen Geldes so scheußliche Monster waren, und man war allerorten rundum zufrieden. Der Redakteur der Gesellschaftsseite verfasste einen Artikel, in dem er mitteilte, Mrs. Van Tyne habe auf der Überfahrt mit der Aquitania ein Reisekostüm aus blauem Loden getragen, dazu einen passenden steifen runden Hut, womit Fifi, soweit sich zwischenmenschliche Ereignisse prophezeien ließen, so gut wie verheiratet war – oder, wie nicht wenige junge Männer meinten, so schlecht wie verheiratet.
»Eine außergewöhnlich brillante Partie«, bemerkte Tante Cal am Vorabend der Hochzeit, als sie in ihrem Haus am Montauk Point die entsprechende Meldung für ihre Cousinen in Schottland ausschnitt. Und dann fügte sie abwesend hinzu: »Damit ist alles vergeben und vergessen.«
»Aber Cal!«, rief Tante Josephine. »Was meinst du mit: Alles ist vergeben und vergessen? Fifi hat dir doch nie etwas getan.«
»In den ganzen letzten neun Jahren hat sie es nicht einmal für nötig gehalten, uns hier am Montauk Point zu besuchen, obwohl wir sie immer wieder eingeladen haben.«
»Aber ich finde, man kann ihr daraus keinen Vorwurf machen«, sagte Tante Josephine, die selbst erst einunddreißig war. »Was soll so ein junges hübsches Mädchen hier schon anfangen mit all dem Sand?«
»Wir mögen den Sand, Jo.«
»Aber wir sind alte Jungfern, Cal, und haben keine Laster außer Zigarettenrauchen und zu zweit Mah-Jongg spielen. Fifi dagegen, wo sie doch noch so jung ist, liebt natürlich aufregende, lasterhafte Dinge – halbe Nächte durchmachen, um Geld würfeln, eben die Art Zeitvertreib, die wir nur aus diesen Büchern kennen.« Sie machte eine vieldeutige Handbewegung. »Ich mache ihr keinen Vorwurf, dass sie nicht hierherkommt. Wenn ich sie wäre –«
Welche abartigen Ambitionen in Tante Jos Kopf auf ihre Chance lauerten, blieb unenthüllt, denn der Satz wurde nie zu Ende gesprochen. Die Vordertür des Hauses öffnete sich mit einem plötzlichen Ruck, und eine junge Dame, deren Kleid die unverwechselbare Aura ›Paris‹ umgab, betrat das Zimmer.
»Guten Abend, meine Damen.« Sie lächelte strahlend von der einen zur anderen. »Ich bin für unbestimmte Zeit hergekommen, um im Sand zu spielen.«
»Fifi!«
»Fifi!«
»Meine Tanten!«
»Aber liebes Kind«, rief Tante Jo, »ich dachte, heute wäre dein Polterabend.«
»Das stimmt ja auch«, gab Fifi fröhlich zu. »Aber ich bin nicht hingegangen. Ich gehe auch nicht zur Hochzeit. Ich habe sie heute mit tiefstem Bedauern abgesagt.«
Es war alles ziemlich verworren, aber soweit ihre Tanten ihr folgen konnten, schien der junge Van Tyne allzu perfekt zu sein – was immer das bedeuten sollte. Nachdem sie sich ausgiebig hatte bitten lassen, erklärte Fifi schließlich, er erinnere sie an eine Reklame für ein neues Auto.
»Ein neues Auto?« Tante Cal riss die Augen auf. »Was für ein neues Auto?«
»Irgendeines.«
»Willst du damit sagen…« Tante Cal wurde rot. »Ich kenne mich nicht mit diesen modernen Begriffen aus, aber gibt’s beim Auto nicht etwas, was… was ›Chassis‹ heißt?«
»Oh, körperlich mag ich ihn schon«, bemerkte Fifi kühl. Ihre Tanten zuckten unisono zusammen. »Er war eben einfach… oh, einfach zu vollkommen, zu neu; als wenn man in der Fabrik die längste Zeit an ihm herumgefeilt und ihm dann auch noch extra Vorhänge verpasst hätte…«
Tante Jo hatte Visionen von einem Salonlöwen in schwarzem Leder.
»…und Ballonreifen und eine Dauerrasur. Er war einfach zu zivilisiert für mich, Tante Cal.« Sie seufzte. »Ich bin wohl doch weniger kultiviert, als ich gedacht habe.«
Dabei saß sie da, makellos, graziös, das Bild einer jungen Lady, fertig zum Rahmen und An-die-Wand-Hängen. Ihre Tanten bemerkten jedoch die hysterische Nervosität unter Fifis oberflächlicher Fröhlichkeit und gaben ihren Verdacht nicht auf, hinter der ganzen Sache stecke noch etwas Bestimmteres, Schändlicheres.
»Aber nein«, beharrte Fifi. »Unsere Verlobung wurde vor drei Monaten bekanntgegeben, und seither hat noch keine einzige
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