Winterträume
war erfunden. Es gab niemanden in Washington, den er sehen musste – doch er beobachtete Jonquil genau, und er war sicher, dass sie ein wenig zuckte, die Augen kurz schloss und dann weit öffnete.
»Aber bevor ich gehe, will ich dir erzählen, was ich erlebt habe, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Und da wir uns vielleicht nie wiedersehen, möchte ich – möchte ich dich fragen, ob du dieses eine Mal wieder auf meinem Schoß sitzen könntest wie früher. Ich frage das nur, weil es ja – noch – keinen anderen gibt – deshalb würde es doch vielleicht nichts ausmachen.«
Sie nickte, und einen Augenblick später saß sie auf seinem Schoß, wie sie es in jenem verflossenen Frühling so oft getan hatte. Als er ihren Kopf an seiner Schulter spürte, ihre vertraute Gestalt, erschauderte er zutiefst. Seine Arme, die sie hielten, wollten sich fester um sie schließen, und so lehnte er sich zurück und fing an, nachdenklich in die Luft zu sprechen.
Er erzählte ihr von zwei verzweifelten Wochen in New York, die zu einem reizvollen, wenn auch nicht sehr einträglichen Job bei einem Bauunternehmen in Jersey City geführt hatten. Die Sache in Peru schien zunächst gar keine so großartige Gelegenheit zu sein. Er war als der dritte Hilfsingenieur für die Expedition engagiert worden, doch nur zehn Mitglieder der amerikanischen Gruppe, darunter acht Stabsleute und Aufseher, kamen überhaupt in Cuzco an. Zehn Tage später starb der Chef der Expedition an Gelbfieber. Das war seine Chance gewesen, eine Chance für jeden, der kein Dummkopf war, eine fabelhafte Chance…
»Eine Chance für jeden, der kein Dummkopf war?«, unterbrach sie ihn arglos.
»Selbst für einen Dummkopf«, antwortete er. »Es war wunderbar. Ich telegrafierte also nach New York –«
»Und natürlich«, unterbrach sie ihn erneut, »telegrafierte man dir, dass du die Chance beim Schopf ergreifen könntest?«
»Könnte?«, rief er, immer noch zurückgelehnt, aus. »Dass ich es tun müsste ! Es gab keine Zeit zu verlieren…«
»Keine einzige Minute?«
»Keine einzige Minute.«
»Nicht einmal genug Zeit für…« Sie hielt inne.
»Wofür?«
»Schau.«
Er beugte den Kopf plötzlich vor, und sie neigte sich im selben Moment zu ihm hin, die Lippen wie eine Blume halb geöffnet.
»Doch«, flüsterte er in ihre Lippen. »Alle Zeit der Welt…«
Alle Zeit der Welt – sein Leben und ihres. Aber während er sie küsste, war ihm für einen kurzen Augenblick bewusst, dass er alle Ewigkeit hindurch suchen könnte und jene verlorenen Aprilstunden doch nie wiederfinden würde. Mochte er Jonquil jetzt auch an sich drücken, bis die Muskeln in seinem Arm sich verknoteten – sie war etwas Begehrenswertes und Kostbares, um das er gekämpft, das er sich erobert hatte – nie wieder jedoch ein flüchtiges Flüstern in der Dämmerung oder im Windhauch der Nacht…
Dann lass es gut sein, dachte er: Der April ist vorbei, der April ist vorbei. Es gibt alle möglichen Arten von Liebe auf der Welt, aber nie dieselbe Liebe zweimal.
Eine unsägliche Type
I
Als Fifi ihre Tanten auf Long Island das erste Mal besuchte, war sie erst zehn Jahre alt, aber nach ihrer Rückkehr nach New York meinte der Mann, der sich dort um Haus und Garten kümmerte, die Sanddünen würden nie mehr so sein wie früher, denn sie habe sie ruiniert. Nachdem sie abgereist war, wirkte alles am Montauk Point traurig, sinnlos, heruntergekommen und alt. Sogar die Möwen drehten ihre Kreise mit merklich weniger Enthusiasmus, als vermissten sie das braungebrannte, zähe kleine Mädchen mit den großen Augen, das immer barfuß im Sand gespielt hatte.
Die Jahre bleichten Fifis Sonnenbräune und verwandelten sie in einen blassrosa Teint, aber noch immer brachte sie es fertig, viele Plätze und viele Pläne für viele hoffnungsvolle Männer zu ruinieren. Deshalb war man allgemein eher erfreut, als endlich in den besten Zeitungen zu lesen war, dass sie ihr Augenmerk nun ganz auf einen Gentleman namens Van Tyne richtete, womit all die Traurigkeit und Sehnsucht, die ihr stets auf dem Fuß folgten, in die Verantwortung eines einzigen, selbstaufopfernden Individuums übergehen sollten; nicht unbedingt zum Besten des besagten Individuums zwar, aber entschieden zum Besten von Fifis kleiner Welt.
Die Verlobung wurde weder auf der Sportseite angezeigt, noch etwa in der Rubrik mit den Kleinanzeigen, denn Fifis Familie gehörte der Gesellschaft zur Erhaltung Großer Vermögen an; und unter Mr. Van
Weitere Kostenlose Bücher