Winterträume
Mr. Hopkins gefiel es dort ganz gut, gestand er, sähe man über die Präsenz von mikroskopisch kleinem tierischem Leben hinweg, einen minimen Nachteil dieser ansonsten exzellenten Wohnstatt.
Nach dem Abendessen gingen Fifi und Mr. Hopkins auf die Veranda hinaus, während ihre Tanten Seite an Seite auf dem Sofa Zeitschriften durchblätterten und sich von Zeit zu Zeit waidwunde Blicke zuwarfen. Dass ein Wilder noch vor wenigen Minuten an ihrem Tisch gesessen hatte, dass er sich jetzt allein mit ihrer Nichte auf der dunklen Veranda befand – ein so entsetzliches Erlebnis war in ihrem sittsamen, zurückgezogenen Leben niemals vorgesehen gewesen.
Tante Cal beschloss, sie werde Fifi ungeachtet der Konsequenzen um neun hereinrufen, eine Notmaßnahme, die ihr allerdings erspart blieb, denn nach einer halben Stunde kam die junge Dame gelassen hereinspaziert und verkündete, Mr. Hopkins sei nach Hause gegangen. Sie sahen sie an, sprachlos.
»Fifi!«, stöhnte Tante Cal. »Mein armes Kind! Kummer und Einsamkeit haben deinen Geist verwirrt!«
»Wir verstehen ja, mein Liebes«, sagte Tante Jo und betupfte ihre Augen mit dem Taschentuch. »Es war unser Fehler, dich so lange bleiben zu lassen. Ein paar Wochen in einem dieser Erholungsheime oder vielleicht sogar ein gutes Varieté, das wird –«
»Wovon sprecht ihr überhaupt?« Fifi sah überrascht von der einen zur anderen. »Wollt ihr damit sagen, ihr habt etwas dagegen einzuwenden, dass ich Mr. Hopkins mitgebracht habe?«
Tante Cal lief puterrot an, und ihre Lippen pressten sich fest aufeinander.
»›Einzuwenden‹ ist wohl nicht der richtige Ausdruck. Du triffst irgendeinen grässlichen, brutalen Herumtreiber am Strand –«
Sie brach ab und stieß einen spitzen Schrei aus. Die Tür war plötzlich aufgeschwungen, und ein behaartes Gesicht äugte ins Zimmer herein.
»Ich hab meinen Stock vergessen.«
Mr. Hopkins entdeckte die unappetitliche Waffe angelehnt in einer Ecke, worauf er sich auf die gleiche formlose Weise zurückzog, auf die er auch erschienen war, die Tür hinter sich zuknallend. Fifis Tante blieb reglos sitzen, bis seine Schritte die Veranda verlassen hatten. Dann eilte Tante Cal zur Tür und schob den Riegel vor.
»Ich nehme an, er wird kaum versuchen, uns heute Nacht zu berauben«, sagte sie grimmig, »weil er wissen muss, dass wir vorbereitet sind. Aber ich werde Percy warnen und ihm sagen, er soll in der Nacht ein paar Runden durch den Garten machen.«
»Euch berauben?«, rief Fifi ungläubig.
»Reg dich nicht auf, Fifi«, befahl Tante Cal. »Setz dich still in den Sessel da; ich rufe deine Mutter an.«
»Ich möchte aber nicht, dass du meine Mutter anrufst.«
»Setz dich ruhig hin, schließ die Augen und versuch… versuch, Schäfchen zu zählen.«
»Darf ich denn einen Mann nur ansehen, wenn er einen Cut trägt?«, protestierte Fifi mit blitzenden Augen. »Ist das hier finsterstes Mittelalter oder das Jahrhundert der… der Aufklärung? Mr. Hopkins ist eine der interessantesten Typen, die ich je in meinem Leben kennengelernt habe.«
»Mr. Hopkins ist ein Wilder!«, sagte Tante Cal knapp.
»Mr. Hopkins ist eine ganz famose Type.«
»Eine ganz famose was?«
»Eine ganz famose Type.«
»Mr. Hopkins ist eine… eine… eine unsägliche Type«, verkündete Tante Cal in Übernahme von Fifis Ausdrucksweise.
»Nur weil er ganz natürlich ist«, rief Fifi ungehalten. »Na gut, ist mir auch egal; für mich ist er jedenfalls gut genug.«
Die Situation schien sogar noch schlimmer zu sein, als sie dachten. Es handelte sich keineswegs nur um eine momentane geistige Verwirrung: Offensichtlich interessierte sich Fifi für diesen abscheulichen Menschen, weil er das genaue Gegenteil ihres verflossenen Verlobten darstellte. Sie hatte ihn, wie sie beichtete, schon vor einigen Tagen kennengelernt, und sie beabsichtigte auch, ihn am folgenden Tag wiederzusehen. Man habe sich zum Spazierengehen verabredet.
Das Schlimmste aber war, dass Tante Cal, nachdem Fifi mit Verachtung im Blick zu Bett gegangen war, ihre Mutter anrief – und entdecken musste, dass sie ihre Mutter gar nicht erreichen konnte; Fifis Mutter war nach White Sulphur Springs gereist und würde vor Ablauf einer Woche nicht zurück sein. Damit fiel die Verantwortung für die Angelegenheit endgültig Tante Cal und Tante Jo zu, eine Angelegenheit, die am nächsten Nachmittag zur Teestunde auf die Spitze getrieben wurde, als Percy aufgebracht durch die Küchentür auf sie zustürzte.
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