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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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und hier übernachten.«
    Sie hängte den Hörer ein.
    »So! Außer unserem Wechsel von Bridge auf Mah-Jongg dürfte das hier der erste wirklich moderne Schritt sein, den wir je in unserem Leben gemacht haben.«
    Die Stunden vergingen schleppend. Um sieben kam Fifi zum Abendessen herunter, so gelassen, als ob nicht das Geringste geschehen wäre; ihre Tanten unterstützten sie tapfer in ihrer ruhigen Haltung, fest entschlossen, bis zur Ankunft des Doktors nichts von ihrem Plan zu erwähnen. Nach dem Essen schlug Tante Jo eine Runde Mah-Jongg vor, aber Fifi erklärte, sie wolle lieber lesen, und machte es sich mit einem Band des Lexikons auf dem Sofa bequem. Mit einem Blick über ihre Schulter stellte Tante Cal alarmiert fest, dass sie sich den Abschnitt über den australischen Busch vorgenommen hatte.
    Im Zimmer herrschte absolute Stille. Mehrere Male hob Fifi den Kopf, als lauschte sie; einmal stand sie auf, ging zur Tür und starrte lange in die Nacht hinaus. Ihre Tanten warteten angespannt in ihren Sesseln, bereit, beim ersten Anzeichen von Flucht sofort hinter ihr herzustürmen, doch nach einer Weile schloss sie mit einem Seufzer die Tür und kehrte zum Sofa zurück. Erleichtert hörten sie kurz nach neun das Geräusch von Autoreifen auf dem Muschelweg, das ihnen anzeigte, dass Doktor Gallup endlich eingetroffen war.
    Er war ein kleiner, dicklicher Mann mit flinken schwarzen Augen und nervösem Gehabe. Er trat ein, schaute ungeduldig um sich, und als seine Augen Fifi erfassten, leuchteten sie auf wie die eines hungrigen Mannes, der ein mögliches Nahrungsmittel erspäht. Fifi erwiderte seinen Blick neugierig, offensichtlich nicht ahnend, dass sein Kommen etwas mit ihr zu tun hatte.
    »Ist das die Dame?«, rief er, indem er ihre Tanten mit einem flüchtigen Händedruck abfertigte und sich Fifi in lebhaft hopsendem Gang näherte.
    »Dieser Herr hier ist Doktor Gallup, Liebes«, strahlte Tante Jo zuversichtlich. »Er ist ein alter Bekannter von mir, der dir helfen wird.«
    »Natürlich werde ich das!«, beteuerte Doktor Gallup, der Herzlichkeit ausstrahlend um sie herumhüpfte. »Ich werde Sie wieder tipptopp hinkriegen.«
    »Er weiß alles über die menschliche Seele«, sagte Tante Jo.
    »Nicht alles«, gab Doktor Gallup bescheiden lächelnd zu. »Aber wir bringen die gewöhnlichen Ärzte schon manchmal zum Staunen.« Er wandte sich schelmisch an Fifi. »Jawoll, junges Fräulein, wir bringen die gewöhnlichen Ärzte schon manchmal zum Staunen.«
    Entschlossen klatschte er in die Hände, zog sich einen Sessel heran und setzte sich Fifi direkt gegenüber.
    »Kommen Sie«, forderte er sie auf, »wollen doch gleich mal sehn, was uns fehlen könnte. Wir beginnen damit, dass Sie mir die ganze Geschichte in Ihren eigenen Worten erzählen. Fangen Sie an.«
    »Die Geschichte«, bemerkte Fifi unterdrückt gähnend, »geht Sie zufälligerweise gar nichts an.«
    »Geht mich nichts an!«, stieß er ungläubig hervor. »Aber mein liebes Kind, ich versuche Ihnen zu helfen! Nun kommen Sie, erzählen Sie mal dem alten Doktor Gallup schön brav die ganze Geschichte.«
    »Das können meine Tanten wohl besser«, sagte Fifi kalt. »Sie scheinen ja mehr darüber zu wissen als ich.«
    Doktor Gallup legte die Stirn in Falten.
    »Sie haben mir die Situation in groben Zügen geschildert, ja. Vielleicht fange ich besser damit an, dass ich Ihnen einige Fragen stelle.«
    »Du wirst doch dem Doktor antworten, nicht wahr, Liebstes?«, redete Tante Jo ihr zu. »Doktor Gallup ist einer der modernsten Ärzte in ganz New York.«
    »Ich bin ein altmodisches Mädchen«, wandte Fifi boshaft ein. »Und ich finde es unmoralisch, seine Nase in die Angelegenheiten anderer Leute zu stecken. Aber fragen Sie ruhig, ich werd sehen, was ich Ihnen so alles an originellen Antworten bieten kann.«
    Doktor Gallup überhörte die unnötige Frechheit dieser Bemerkung und rang sich ein professionelles Lächeln ab.
    »Nun, Miss Marsden, soweit ich weiß, sind Sie vor einem Monat hierhergekommen, um sich auszuruhen.«
    »Nein, ich bin hergekommen, um mein Gesicht zu verstecken.«
    »Sie haben sich geschämt, weil Sie Ihre Verlobung aufgelöst haben?«
    »Schrecklich. Wenn Sie einen Mann am Altar stehenlassen, brandmarken Sie ihn doch für den Rest seines Lebens.«
    »Warum?«, fragte er scharf.
    »Warum nicht?«
    »Hier stellen nicht Sie die Fragen, sondern ich… Na ja, lassen wir das. Also, als Sie dann hier waren, wie haben Sie sich da die Zeit

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