Winterträume
seinen zweiten Erzählungsband für Scribners zusammen. Er erscheint im September und enthält elf Geschichten, die der Autor ironisch in drei Kategorien unterteilt: »My Last Flappers« (zu denen er kurioserweise auch ›Erster Mai‹ zählt), »Fantasies« (wie ›Benjamin Button‹ und ›Ein Diamant – so groß wie das Ritz‹) sowie »Unclassified Masterpieces«. Die Sammlung enthält Texte höchst unterschiedlichen Gewichts: Neben Meisterwerken stehen Stories, die Fitzgerald 1920 nicht in seinen ersten Erzählungsband aufgenommen hatte, weil sie ihm nicht gut genug waren. Die Originalausgabe erscheint mit einem Schutzumschlag des bekannten Cartoonisten John Held Jr. und verkauft sich gut. Den Titel Tales of the Jazz Age, der ein ganzes Zeitalter auf den Begriff bringt, muss Fitzgerald allerdings gegen den Willen der Vertriebsabteilung von Scribners durchsetzen.
Das von Fitzgerald so negativ erlebte Jahr 1922 endet mit einer weiteren bemerkenswerten Erzählung: Im Dezember erscheint ›Winterträume‹ im Metropolitan und wird mit 900 Dollar honoriert. Einmal mehr gelingt es Fitzgerald, mit zierlicher Geste große Gefühle zu schildern. Er gestaltet seine Heldin Judy glaubhaft als Wesen, das seiner eigenen Schönheit verfallen ist und kein anderes Ziel hat, als Macht über die Männer auszuüben, sich am Ende aber grausam verspekuliert. Besonders erwähnenswert ist in dieser Geschichte eine kleine Theorie der Lockerheit und Eleganz: Fitzgeralds Held Dexter lässt bei den besten Schneidern Amerikas arbeiten. Als Emporkömmling muss er in seiner Kleidung so perfekt sein wie in seinen Manieren. Erst seine Kinder werden die Selbstsicherheit besitzen, über die man verfügen muss, um lässig auftreten zu können.
Im April 1923 erscheint Fitzgeralds Theaterstück The Vegetable bei Scribners. Auch als Buch hat es keinen Erfolg; es bleibt bei einer Auflage. Um seine Einkünfte zu optimieren, handelt der Autor mit der Hearst-Gruppe, die unter anderem Hearst’s International Magazine und den Cosmopolitan herausgibt, einen Optionsvertrag für mindestens sechs Geschichten zu 1500 Dollar aus. Die Vereinbarung erweist sich für beide Seiten als unbefriedigend; einige Texte werden angenommen, andere abgelehnt, wieder andere werden erst angenommen und dann doch an andere Magazine weiterverkauft. Die beiden Stories ›Würfel, Schlagringe und Gitarre‹ sowie ›Heißes und kaltes Blut‹, die aus der 1923er-Produktion Fitzgeralds für diesen Band ausgewählt wurden, erschienen jedoch tatsächlich am vorgesehenen Ort. Beide sind keine Schwergewichte, doch Erstere ist immerhin eine charmante Südstaatenstory.
Ihr Reiz liegt darin, dass sie nicht nur auf einen Ton gestimmt ist. Sie beginnt als Hochstaplerkomödie, endet aber in Moll und enthält einige köstliche erzählerische Einfälle wie den folgenden, für das Jahr 1923 wirklich erstaunlichen Einwurf des Erzählers: »Wenn dies nun ein Kinofilm wäre (was es, wie ich natürlich hoffe, eines Tages sein wird), würde ich so viele tausend Meter Film von ihr [nämlich der schönen Amanthis] aufnehmen, wie ich nur dürfte – ich würde mit der Kamera nah herangehen und den blonden Flaum in ihrem Nacken zeigen, dort, wo das Haar ansetzt, und den warmen Farbton ihrer Wangen und Arme, denn ich stelle mir gerne vor, dass sie schläft, wie Sie selbst in jungen Jahren geschlafen haben mögen.« Bezeichnend für den wunderbar leichten Ton dieser Erzählung ist im weiteren Amanthis’ selbstironische Auskunft: »Nein, Sie haben hier ein Mädchen vom Land vor sich. Meine Verehrer sind Farmer – oder auch vielversprechende junge Barbiere aus dem Nachbardorf, an deren Jackenärmeln noch die Haare eines Kunden haften.«
Von dieser funkelnden Eleganz ist ›Heißes und kaltes Blut‹ weit entfernt. Die nachdenklich-sentimentale Geschichte um einen Ladenbesitzer, der sich immer wieder dazu überreden lässt, anderen Leuten Geld zu leihen, und deshalb mit seiner Frau in Streit gerät, krankt an ihrem Moralismus. Doch selbst hier schafft es Fitzgerald nicht, wirklich schlecht zu schreiben; bei der Schilderung des kleinbürgerlichen Milieus zum Beispiel zeigt er eine sichere Hand.
In seinem »Hauptbuch« zieht Fitzgerald eine äußerst skeptische Bilanz für das Jahr 1923: »Kein Boden unter unseren Füßen.« Er hatte allen Grund zu dieser Einschätzung. Im Lauf des Jahres hatte sein schon früh manifester Alkoholismus dramatische, zerstörerische Züge angenommen; zudem hatte er
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