Winterträume
ihr Zimmer und drohte, verdächtig gut gelaunt, sie zu ihrem Geburtstag fünfunddreißigmal zu küssen. Sie wehrte ihn ab.
»Du hast getrunken«, sagte sie schroff und fuhr in milderem Ton fort, »ein bisschen jedenfalls. Du weißt, dass ich diesen Geruch nicht ertrage.«
»Evie«, sagte er nach einer kurzen Pause und setzte sich in den Sessel am Fenster, »ich habe Neuigkeiten. Ich nehme an, du weißt, dass es in der Firma in letzter Zeit nicht so gut gelaufen ist.«
Sie stand am Fenster und kämmte sich, doch bei seinen Worten drehte sie sich um und sah ihn an.
»Wie meinst du das? Du hast doch immer gesagt, die Stadt ist groß genug für mehr als einen Eisenwarengroßhändler.« Sie klang beunruhigt.
»Das ist sie auch«, sagte Harold mit Nachdruck, »aber dieser Clarence Ahearn ist ein schlauer Bursche.«
»Ich habe mich gewundert, als du gesagt hast, er würde heute Abend zum Essen kommen.«
»Evie«, sagte er und schlug sich aufs Knie, »ab dem ersten Januar ist die ›Clarence Ahearn Company‹ die ›Ahearn & Piper Company‹, und die Firma ›Piper Brothers‹ gibt es nicht mehr.«
Evylyn war erstaunt. Dass sein Name an zweiter Stelle stand, erschien ihr irgendwie herabsetzend; dennoch strahlte er.
»Ich verstehe nicht, Harold.«
»Na ja, Evie, Ahearn hat schon mit Marx verhandelt. Wenn die beiden sich zusammengetan hätten, wären wir aus den großen Aufträgen herausgedrängt worden. Wir hätten nur noch Kleinkram machen und keine Risiken eingehen können. Es ist eine Frage des Kapitals, Evie, und ›Ahearn & Marx‹ hätten das Geschäft haben können, das jetzt ›Ahearn & Piper‹ haben werden.« Er hielt inne und hüstelte, und eine kleine Whiskeywolke stieg ihr in die Nase. »Um ehrlich zu sein: Ich habe das Gefühl, dass Ahearns Frau was damit zu tun hat. Sie ist ganz schön ehrgeizig, habe ich gehört. Wahrscheinlich hat sie gewusst, dass die Marx-Familie ihr hier nicht weiterhelfen kann.«
»Ist sie… eine gewöhnliche Person?«
»Ich bin ihr zwar noch nie begegnet, aber da gibt es wohl keinen Zweifel. Clarence Ahearn stand fünf Monate auf der Kandidatenliste für den Country Club, aber niemand wollte für ihn bürgen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir haben heute zu Mittag gegessen und die Sache praktisch unter Dach und Fach gebracht, und da dachte ich, es wäre doch nett, ihn und seine Frau heute Abend einzuladen – wir sind dann nur zu neunt, hauptsächlich Familie. Immerhin ist das für mich eine wichtige Angelegenheit, und natürlich werden wir in Zukunft öfter mit ihnen zu tun haben, Evie.«
»Ja«, sagte Evie nachdenklich, »das wird wohl so sein.«
Evylyn machte sich keine Sorgen über den gesellschaftlichen Aspekt der Angelegenheit, aber dass aus »Piper Brothers« nun die »Ahearn & Piper Company« werden würde, erschreckte sie. Es kam ihr vor wie ein Abstieg.
Als sie eine halbe Stunde später begann, sich für das Abendessen umzuziehen, hörte sie Harold von unten rufen: »Evie, komm doch mal runter!«
Sie trat auf den Treppenabsatz und beugte sich über das Geländer. »Was gibt es denn?«
»Ich möchte, dass du mir hilfst, vor dem Essen noch den Punsch zu machen.«
Rasch hakte sie ihr Kleid wieder zu, ging die Treppe hinunter und fand ihn im Esszimmer, wo er die Zutaten auf dem Tisch zusammenstellte. Sie nahm eine der Schüsseln von der Anrichte und platzierte sie auf dem Tisch.
»Aber nein«, protestierte er, »lass uns die große nehmen. Ahearn und seine Frau, du und ich und Milton, das sind schon fünf, Tom und Jessie – sieben –, deine Schwester und Joe Ambler, das macht neun. Du weißt doch, wie schnell das Zeug alle ist, wenn du die Mischung gemacht hast.«
»Wir nehmen diese Schüssel«, beharrte sie. »Die ist groß genug. Du kennst doch Tom.«
Tom Lowrie, Jessies Mann und Harolds Cousin, neigte dazu, alles auszutrinken, was man ihm einschenkt.
Harold schüttelte den Kopf.
»Sei nicht albern. In die Schüssel passen höchstens drei Liter, und wir sind zu neunt. Das Personal wird auch etwas davon haben wollen, und der Punsch wird ohnehin nicht besonders stark. Es ist doch viel schöner, viel zu haben, Evie, und wir brauchen ja nicht alles auszutrinken.«
»Und ich sage, wir nehmen die kleinere Schüssel.«
Hartnäckig schüttelte er den Kopf.
»Jetzt sei doch vernünftig.«
»Ich bin vernünftig«, erwiderte sie knapp. »Ich will keine Betrunkenen in meinem Haus.«
»Das hat ja auch keiner behauptet.«
»Dann nehmen wir also
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