Winterträume
die kleinere Schüssel.«
»Aber Evie…« Er griff nach der Schüssel, um sie zurück auf die Anrichte zu stellen, doch Evie drückte sie auf den Tisch. Es gab ein kurzes Gerangel, dann riss er die Schüssel mit einem entnervten Schnauben auf seine Seite, so dass sie Evies Griff entglitt, und stellte sie wieder auf die Anrichte.
Evie sah ihn an und versuchte, Verachtung in ihren Blick zu legen, doch er lachte nur. Sie sah, dass sie verloren hatte, erklärte jedoch, in dem Fall fühle sie sich nicht mehr für die Zubereitung des Punsches verantwortlich, und verließ den Raum.
III
Evylyns Wangen waren gerötet, und auf ihrem aufgesteckten Haar glänzte ein Hauch von Brillantine, als sie um halb acht die Treppe hinunterstieg. Mrs. Ahearn, die ihre leichte Nervosität unter roten Haaren und einem außergewöhnlichen Empirekleid verbarg, begrüßte sie wortreich, wie es sich gehörte. Sie war Evylyn auf Anhieb unsympathisch, im Gegensatz zu Clarence, ihrem Mann, der ihr schon besser gefiel. Er hatte intelligente blaue Augen und ein natürliches Talent, Leute für sich einzunehmen. Das hätte ihm alle Türen öffnen können, hätte er nicht den offensichtlichen Fehler begangen, zu früh zu heiraten.
»Es freut mich, Pipers Frau kennenzulernen«, sagte er einfach. »Wie es aussieht, werden Ihr Mann und ich in Zukunft viel miteinander zu tun haben.«
Sie neigte den Kopf, lächelte freundlich und begrüßte auch die anderen Gäste: Milton Piper, Harolds stillen, unauffälligen jüngeren Bruder, die beiden Lowries Jessie und Tom, ihre eigene unverheiratete Schwester Irene und schließlich Joe Ambler, einen überzeugten Junggesellen, der seit ewigen Zeiten Irenes Liebhaber war.
Harold führte die Gäste zu Tisch.
»Wir machen einen Punschabend«, verkündete er gutgelaunt – Evylyn bemerkte, dass er seine Mischung bereits ausgiebig verkostet hatte. »Es gibt also keine Cocktails, sondern nur Punsch. Es ist die Spezialität meiner Frau, Mrs. Ahearn – wenn Sie wollen, wird sie Ihnen das Rezept gern geben –, aber aufgrund einer kleinen« – er fing einen Blick seiner Frau auf und hielt kurz inne – »Unpässlichkeit bin ich heute Abend für den Punsch verantwortlich. Darf ich um Ihre Gläser bitten?«
Während des ganzen Essens gab es Punsch, und Evylyn, die bemerkte, dass Milton Piper und die anwesenden Damen den Kopf schüttelten, wenn das Hausmädchen nachschenken wollte, sah ihre Befürchtungen bestätigt: Die Schüssel war noch halb voll. Sie beschloss, Harold gleich nach dem Essen darauf hinzuweisen, doch als die Tafel aufgehoben wurde, nahm Mrs. Ahearn sie in Beschlag, und sie musste sich, höfliches Interesse heuchelnd, mit ihr über diverse Städte und Damenschneider unterhalten.
»Wir sind oft umgezogen«, plapperte Mrs. Ahearn, und ihre rote Frisur nickte heftig. »Bisher sind wir nie besonders lange an einem Ort geblieben, und nun hoffe ich, dass wir nicht mehr von hier fortziehen. Es ist ein so netter Ort, finden Sie nicht auch?«
»Nun, ich bin hier geboren, müssen Sie wissen, und darum…«
»Aber natürlich«, sagte Mrs. Ahearn und lachte. »Clarence sagt immer, er braucht eine Frau, zu der er sagen kann: ›Wir ziehen morgen nach Chicago, also mach dich ans Packen.‹ Darum habe ich mich nie darauf eingestellt, irgendwo länger zu bleiben.« Abermals stieß sie dieses kleine Lachen aus; Evylyn nahm an, dass es ihr Gesellschaftslachen war.
»Ihr Mann scheint sehr tüchtig zu sein.«
»O ja«, versicherte Mrs. Ahearn ihr mit Nachdruck. »Clarence ist nicht auf den Kopf gefallen. Mit Begeisterung bei der Sache und voller Ideen, wissen Sie. Er überlegt sich, was er will, und dann geht er hin und holt es sich.«
Evylyn nickte. Sie fragte sich, ob die Männer, die im Esszimmer geblieben waren, weiter Punsch tranken. Mrs. Ahearn breitete Stück für Stück ihre Geschichte vor ihr aus, doch Evylyn hörte kaum noch zu. Die ersten Zigarrenrauchschwaden zogen durch den Raum. Es war wirklich kein besonders großes Haus, dachte sie; an Abenden wie diesem war die Luft in der Bibliothek manchmal blau vor Rauch, und am nächsten Tag musste man stundenlang lüften, um den schalen Geruch aus den Vorhängen zu bekommen. Vielleicht würde diese neue Partnerschaft… Sie begann, von einem größeren Haus zu träumen…
Mrs. Ahearns Stimme drang zu ihr durch: »Ich würde dieses Rezept wirklich gern mal ausprobieren. Wenn Sie es irgendwo aufgeschrieben haben…«
Im Esszimmer wurden Stühle
Weitere Kostenlose Bücher