Winterträume
der Schmetterlinge, mit denen sie im Laufe eines Abends ein halbes Dutzend Mal tanzen, doch die Jugend dieser vom Jazz genährten Generation hat ein rastloses Temperament, und der Gedanke, mehr als einen vollständigen Foxtrott mit demselben Mädchen aufs Parkett zu legen, ist ihnen unangenehm, um nicht zu sagen zuwider. Kommt es zu mehreren Tänzen, einschließlich der Pausen, kann das Mädchen ziemlich sicher sein, dass ihr der junge Mann, einmal erlöst, nie wieder auf den störrischen Zehen herumtrampeln wird.
Warren tanzte den ganzen nächsten Tanz mit Bernice und begleitete sie schließlich, dankbar für die Pause, an einen Tisch auf der Veranda. Ein kurzes Schweigen trat ein, während sie wenig überzeugend mit ihrem Fächer wedelte.
»Es ist heißer hier als in Eau Claire«, sagte sie.
Warren unterdrückte einen Seufzer und nickte. Selbst wenn das stimmte, was kümmerte es ihn. Er fragte sich gelangweilt, ob sie schlecht Konversation machte, weil sie wenig Aufmerksamkeit bekam, oder ob sie wenig Aufmerksamkeit bekam, weil sie schlecht Konversation machte.
»Bleiben Sie noch lange hier?«, fragte er und wurde ziemlich rot. Womöglich ahnte sie, warum er das wissen wollte.
»Eine Woche noch«, antwortete sie und starrte ihn an, als wollte sie sich auf seine nächste Bemerkung stürzen, sobald sie seine Lippen verließ.
Warren wurde unruhig. Dann beschloss er aus einer plötzlichen barmherzigen Laune heraus, es mit einem Teil seiner Masche bei ihr zu probieren. Er wandte sich ihr zu und schaute ihr in die Augen.
»Sie haben wirklich einen Mund zum Küssen«, begann er leise.
Das sagte er manchmal auf Collegebällen zu den Mädchen, mit denen er sich in genau solchem Halbdunkel wie hier unterhielt. Bernice zuckte sichtlich zusammen. Sie wurde ganz ohne Charme rot und hantierte linkisch mit ihrem Fächer. So etwas hatte noch nie jemand zu ihr gesagt.
»Frechheit!« – das Wort rutschte ihr so heraus, und sie biss sich auf die Lippen. Zu spät versuchte sie, amüsiert zu tun und ihm ein verwirrtes Lächeln zu schenken.
Warren ärgerte sich. Er war es gewohnt, dass seine Bemerkung nicht ernst genommen wurde, doch meistens erntete er ein Lachen oder ein paar Sätze gefühlsseliger Plänkelei. Und er mochte es überhaupt nicht, wenn man ihn frech nannte, außer, es war scherzhaft gemeint. Seine barmherzige Laune verflog, und er wechselte das Thema.
»Jim Strain und Ethel Demorest hocken wieder mal zusammen«, sagte er.
Das lag schon mehr auf Bernice’ Linie, doch in ihre Erleichterung mischte sich ein leises Bedauern, als die Unterhaltung eine neue Wendung nahm. Männer sprachen mit ihr gemeinhin nicht über Münder, die zum Küssen waren, aber dass sie mit anderen Mädchen so oder ähnlich sprachen, das wusste sie durchaus.
»O ja«, sagte sie und lachte. »Angeblich krebsen sie seit Jahren ohne einen roten Heller herum. Ist das nicht albern?«
Warrens Ärger wuchs. Jim Strain war ein enger Freund seines Bruders, und er hielt es ohnedies für schlechten Stil, sich über Leute lustig zu machen, weil sie wenig Geld hatten. Aber Bernice hatte gar nicht die Absicht gehabt, sich lustig zu machen. Sie war nur nervös.
II
Als Marjorie und Bernice gegen halb eins nach Hause kamen, wünschten sie sich oben an der Treppe gute Nacht. Sie waren zwar Cousinen, aber keine Freundinnen. Genau genommen hatte Marjorie keine einzige Freundin – sie fand Mädchen dumm. Bernice dagegen hatte sich während ihres ganzen von den Eltern arrangierten Besuchs durchaus danach gesehnt, jene mit Gekicher und Tränen gewürzten Vertraulichkeiten auszutauschen, die sie für einen unverzichtbaren Bestandteil allen weiblichen Miteinanders hielt. In dieser Hinsicht erschien ihr Marjorie jedoch eher kalt; irgendwie fiel es Bernice genauso schwer, mit ihr zu reden wie mit Männern. Marjorie kicherte nie, hatte nie Angst, war selten verlegen und besaß überhaupt wenige jener Eigenschaften, die Bernice bei einer Frau als geziemend und segensreich erachtete.
Während sie mit Zahnbürste und Zahnpasta hantierte, fragte sie sich zum hundertsten Mal, warum man ihr nie Beachtung schenkte, wenn sie von zu Hause fort war. Darauf, dass ihre Familie die reichste in Eau Claire war; dass ihre Mutter als großartige Gastgeberin galt, vor jedem Ball ein kleines Abendessen für ihre Tochter gab und ihr ein eigenes Auto gekauft hatte, hätte sie ihren gesellschaftlichen Erfolg daheim nie zurückgeführt. Wie die meisten Mädchen war sie mit der
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