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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Marjorie keines Blickes, sondern nahm ein beliebiges Buch aus dem Regal und setzte sich hin, um darin zu lesen. Marjorie schien in ihren Brief vertieft und schrieb weiter. Als die Uhr zwölf schlug, klappte Bernice mit einem Knall ihr Buch zu.
    »Ich besorge mir jetzt wohl besser meine Fahrkarte.«
    Das war nicht der Anfang der Rede, die sie oben auf ihrem Zimmer einstudiert hatte; doch da Marjorie all ihre Einsätze verpasste – sie nicht drängte, vernünftig zu sein; es sei alles ein Missverständnis –, war es die beste Eröffnung, die ihr einfiel.
    »Warte kurz, bis ich den Brief fertig habe«, sagte Marjorie, ohne sich umzublicken. »Ich möchte, dass er mit der nächsten Post mitgeht.«
    Nach einer weiteren Minute, in der ihr Füller eifrig über das Papier kritzelte, drehte sie sich um und lehnte sich mit einer ›Zu-Diensten‹-Miene entspannt zurück. Erneut musste Bernice das Wort ergreifen.
    »Möchtest du, dass ich nach Hause fahre?«
    »Na ja –«, sagte Marjorie und überlegte. »Wenn du dich nicht amüsierst, wäre es doch wohl besser. Was bringt es schon, unglücklich zu sein.«
    »Findest du nicht, es wäre ein Gebot der Höflichkeit…«
    »Ach, bitte zitiere nicht aus Betty und ihre Schwestern !«, rief Marjorie gereizt. »Das ist Schnee von gestern.«
    »Meinst du?«
    »Ja, natürlich! Welches Mädchen könnte heute noch so leben wie diese albernen Weibsbilder?«
    »Für unsere Mütter waren sie Vorbilder.«
    Marjorie lachte. »Ja, das waren sie – nicht! Im Übrigen waren unsere Mütter ja auf ihre Art völlig in Ordnung, aber über die Probleme ihrer Töchter wissen sie sehr wenig.«
    Bernice richtete sich auf. »Bitte rede nicht über meine Mutter.«
    Marjorie lachte. »Ich glaube nicht, dass ich sie erwähnt habe.«
    Bernice hatte das Gefühl, dass sie von ihrem Anliegen abgelenkt wurde. »Findest du, du hast mich gut behandelt?«
    »Ich habe getan, was ich konnte. Du bist ein ziemlich harter Brocken.«
    Bernice’ Augenlider röteten sich.
    »Ich finde, du bist hart und selbstsüchtig, und du hast keine einzige weibliche Tugend in dir.«
    »O mein Gott!«, rief Marjorie voller Verzweiflung. »Du dummes Ding! Mädchen wie du sind schuld an all diesen langweiligen, farblosen Ehen; all diese scheußlichen Unzulänglichkeiten, die als weibliche Tugenden durchgehen! Was für ein Schlag für einen Mann mit Phantasie, wenn er das hübsche Kleiderbündel heiratet, um das er seine Ideale gerankt hat, und merkt, dass es bloß eine schwache, wehleidige, feige Anhäufung von Posen ist!«
    Bernice’ Mund stand mittlerweile halb offen.
    »Die frauliche Frau!«, fuhr Marjorie fort. »Verbringt ihre ganze frühe Jugend mit wehleidiger Kritik an Mädchen wie mir, die sich wirklich gut amüsieren.«
    Bernice’ Unterkiefer klappte weiter herunter, während Marjories Stimme anstieg.
    »Ein hässliches Mädchen kann ja von mir aus wehleidig sein. Wenn ich hässlich gewesen wäre, richtig hässlich, dann hätte ich meinen Eltern nie verziehen, dass sie mich auf die Welt gebracht haben. Aber du trittst dein Leben ohne jedes Handicap an –« Marjorie ballte ihre kleine Faust. »Wenn du von mir erwartest, dass ich in dein Gejammer einstimme, muss ich dich enttäuschen. Geh oder bleib, ganz wie du willst.« Darauf nahm sie ihre Briefe vom Tisch und verließ den Raum.
    Bernice schützte Kopfschmerzen vor und erschien nicht zum Mittagessen. Sie hatten am Nachmittag eine Verabredung fürs Theater, doch da die Kopfschmerzen anhielten, entschuldigte Marjorie ihre Cousine bei einem nicht allzu niedergeschlagenen jungen Mann. Als sie jedoch am späten Nachmittag heimkam, fand sie Bernice mit seltsam gefasster Miene in ihrem Schlafzimmer vor, wo sie auf Marjorie gewartet hatte.
    »Ich bin zu dem Schluss gekommen«, sagte Bernice ohne Umschweife, »dass du vielleicht recht hast – sicher bin ich mir nicht. Aber wenn du mir sagen könntest, warum deine Freunde sich nicht – sich nicht für mich interessieren, würde ich eventuell tun, was du für richtig hältst.«
    Marjorie stand vor dem Spiegel und schüttelte ihr Haar aus.
    »Meinst du das ernst?«
    »Ja.«
    »Ohne Einschränkungen? Bist du bereit, genau das zu tun, was ich dir sage?«
    »Na ja, ich –«
    »Nichts ›na ja‹! Bist du bereit, genau das zu tun, was ich sage?«
    »Wenn es vernünftig ist.«
    »Das ist es nicht! Vernunft ist das Letzte, was du brauchst.«
    »Wirst du mich – wirst du mir empfehlen –«
    »Ja, alles. Wenn ich sage, du sollst

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