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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Arbeitsstelle zu behalten. Aber wie gelangweilt sie beide aussahen und wie müde Ethel Jim manchmal anschaute, als fragte sie sich, warum sie die Ranken ihrer Zuneigung an einer so windzerzausten Pappel hochgezogen hatte.
    Warren war neunzehn und bedauerte all seine Freunde, die nicht im Osten aufs College gingen. Doch wie die meisten jungen Männer gab er gewaltig mit den Mädchen seiner Heimatstadt an, solange er selber nicht dort war. Da war zum Beispiel Genevieve Ormonde, die regelmäßig bei den Bällen, Privatpartys und Footballspielen in Princeton, Yale, Williams und Cornell auftauchte; oder die schwarzäugige Roberta Dillon, in ihrer Generation ähnlich berühmt wie Hiram Johnson oder Ty Cobb; und natürlich war da Marjorie Harvey, die nicht nur ein feengleiches Gesicht und ein sagenhaftes, verblüffendes Mundwerk hatte, sondern auch, ganz zu Recht, bewundert wurde, weil sie beim letzten Pumps- und Slipperball in New Haven fünf Räder hintereinander geschlagen hatte.
    Warren, der als Junge Marjorie gegenüber gewohnt hatte, war lange Zeit »verrückt nach ihr« gewesen. Manchmal schien sie seine Gefühle mit einer gewissen Dankbarkeit zu erwidern, doch sie hatte ihn ihrem unfehlbaren Test unterzogen und ihm dann feierlich mitgeteilt, sie liebe ihn nicht. Der Test war, dass sie ihn vergaß und sich anderen Jungen zuwandte, sobald sie nicht in seiner Nähe war. Warren fand das entmutigend, zumal Marjorie den ganzen Sommer lang kleine Reisen unternommen hatte und er an den ersten zwei oder drei Tagen nach jeder Rückkehr auf dem Tisch in der Harvey’schen Eingangshalle stapelweise in diversen männlichen Handschriften an sie adressierte Briefe liegen sah. Zu allem Überfluss hatte sie den ganzen August über Besuch von ihrer Cousine Bernice aus Eau Claire, und es schien unmöglich, sich allein mit ihr zu treffen. Immer musste er erst jemanden auftreiben, der bereit war, sich mit Bernice abzugeben. Je weiter der August voranschritt, umso schwieriger wurde das.
    Sosehr Warren Marjorie auch verehrte, Cousine Bernice fehlte, wenn er ehrlich war, der Pep. Mit ihrem dunklen Haar und der frischen Gesichtsfarbe war sie zwar ganz hübsch, doch auf Partys war nichts mit ihr anzufangen. Jeden Samstagabend tanzte er Marjorie zuliebe einen langen, anstrengenden Tanz mit ihr, aber er hatte sich in ihrer Gesellschaft immer nur gelangweilt.
    »Warren« – eine leise Stimme dicht hinter ihm unterbrach ihn in seinen Gedanken. Er drehte sich um und blickte in Marjories Gesicht, lebhaft und strahlend wie immer. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter, und er begann fast unmerklich zu leuchten.
    »Warren«, flüsterte sie, »tu mir einen Gefallen – tanz mit Bernice. Sie kommt schon seit einer Stunde nicht von dem kleinen Otis Ormonde los.«
    Warrens Leuchten erlosch.
    »Ja – natürlich«, sagte er halbherzig.
    »Es macht dir doch nichts aus, oder? Ich passe auch auf, dass du nicht bei ihr hängenbleibst.«
    »Schon in Ordnung.«
    Marjorie lächelte – jenes Lächeln, das Dank genug war.
    »Du bist ein Engel, tausend Dank.«
    Seufzend schaute der Engel sich auf der Veranda um, doch Bernice und Otis waren nicht in Sicht. Er schlenderte wieder hinein, und dort, vor der Damengarderobe, entdeckte er Otis inmitten einer Gruppe junger Männer, die sich vor Lachen bogen. Otis schwang ein Holzscheit, das er in der Hand hatte, und hielt flammende Reden.
    »Sie ist da drinnen und richtet sich das Haar«, verkündete er aufgeregt. »Ich warte hier, um noch eine Stunde mit ihr zu tanzen.«
    Erneutes Gelächter.
    »Warum tanzt ihr nicht auch mal mit ihr?«, rief Otis empört. »Über etwas mehr Abwechslung würde sie sich freuen.«
    »Wieso denn, Otis«, sagte einer seiner Freunde, »du bist doch gerade erst mit ihr warm geworden.«
    »Wozu das Holzscheit, Otis?«, fragte Warren lächelnd.
    »Das Holzscheit? Ach, das hier? Das ist ein Knüppel. Wenn sie rauskommt, zieh ich ihr eins über und prügel sie wieder rein.«
    Warren ließ sich auf ein Kanapee fallen und johlte vor Vergnügen.
    »Keine Sorge, Otis«, brachte er schließlich heraus. »Ich erlöse dich dieses Mal.«
    Otis simulierte einen plötzlichen Ohnmachtsanfall und reichte Warren das Holzscheit.
    »Falls du’s brauchst, Alter«, sagte er heiser.
    Wie schön oder blitzgescheit ein Mädchen auch sein mag, der Ruf, nicht oft abgeklatscht zu werden, bringt sie auf jedem Ball in eine schlechte Position. Vielleicht ist den jungen Männern ihre Gesellschaft sogar lieber als die

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