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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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warmen Milch Annie Fellows Johnstons großgezogen worden und mit Romanen, in denen die weibliche Hauptperson geliebt wurde, weil sie gewisse geheimnisvolle frauliche Eigenschaften besaß, die stets erwähnt, aber nie zur Schau getragen wurden.
    Bernice verspürte einen leisen Schmerz, weil sie gegenwärtig alles andere als umschwärmt war. Sie wusste nicht, dass sie ohne Marjories Fürsprache den ganzen Abend mit ein und demselben Mann getanzt hätte; wohl aber, dass sich selbst in Eau Claire Mädchen von geringerer Stellung und Schönheit eines stürmischeren Andrangs erfreuten als sie. Ihrer Meinung nach lag das an einer subtilen Gewissenlosigkeit, die diesen Mädchen eigen war. Es hatte ihr nie Sorgen bereitet, und wäre es anders gewesen, hätte ihre Mutter ihr versichert, solche Mädchen würdigten sich selbst herab und die Männer würden eigentlich Mädchen wie Bernice viel mehr Achtung entgegenbringen.
    Sie löschte das Licht im Bad und beschloss aus einer Laune heraus, zu ihrer Tante Josephine hineinzugehen, bei der noch Licht brannte. Ihre weichen Pantoffeln trugen sie lautlos über den mit Teppich ausgelegten Flur, doch als sie hinter der halb geöffneten Tür Stimmen hörte, blieb sie stehen. Dann schnappte sie ihren eigenen Namen auf, und ohne es vorgehabt zu haben, lauschte sie an der Tür – und der Gesprächsfaden wirkte sich in ihr Bewusstsein, als zöge ihn jemand mit der Nadel hindurch.
    »Sie ist ein vollkommen hoffnungsloser Fall!« Das war Marjories Stimme. »Ja, ja, ich weiß schon, was du sagen willst! Etliche Leute haben dir erzählt, wie hübsch sie sei und wie lieb und wie gut sie kochen könne! Na und? Sie amüsiert sich kein bisschen. Die Männer mögen sie nicht.«
    »Was zählt schon ein bisschen billige Beliebtheit?«
    Mrs. Harvey klang verärgert.
    »Alles, wenn man achtzehn ist«, sagte Marjorie entschieden. »Ich habe mein Bestes gegeben. Ich war nett zu ihr, ich habe die Männer gebeten, mit ihr zu tanzen, aber sie haben einfach keine Lust, sich zu langweilen. Wenn ich bloß an diesen schönen Teint denke, der an so eine graue Maus verschwendet ist, und daran, was Martha Carey daraus machen könnte – ach!«
    »Es gibt heutzutage keinen Anstand mehr.«
    Mrs. Harveys Stimme ließ erkennen, dass ihr die heutigen Zustände nicht in den Kopf wollten. Als sie jung war, hatten sich alle jungen Damen, die aus guten Familien stammten, prächtig amüsiert.
    »Also«, sagte Marjorie, »kein Mädchen kann einer lahmen Ente von einem Gast ständig auf die Sprünge helfen. Heutzutage muss jedes Mädchen allein zurechtkommen. Ich habe ja sogar versucht, ihr kleine Tipps zu geben, für ihre Kleidung und so, aber da ist sie wütend geworden und hat mich ganz komisch angeguckt. Sie ist feinfühlig genug, um zu merken, dass sie hier nicht gut abschneidet, aber ich wette, sie tröstet sich damit, dass sie ja ach so tugendhaft ist, während ich viel zu leichtlebig und oberflächlich bin und es böse mit mir enden wird. Alle unbeliebten Mädchen denken so. Saure Trauben! Sarah Hopkins nennt Genevieve und Roberta und mich die Gardenienmädchen! Ich wette, sie würde zehn Jahre ihres Lebens und ihre europäische Ausbildung dafür geben, ein Gardenienmädchen zu sein, in das drei oder vier Männer gleichzeitig verliebt sind und das alle paar Schritte von einem anderen aufgefordert wird!«
    »Mir scheint«, unterbrach Mrs. Harvey sie ziemlich müde, »du müsstest imstande sein, etwas für Bernice zu tun. Ich weiß wohl, dass sie nicht sehr lebhaft ist.«
    Marjorie stöhnte auf.
    »Lebhaft! Du liebe Zeit! Ich habe sie noch nie etwas anderes zu einem Jungen sagen hören, als dass es ja so heiß sei oder die Tanzfläche so voll oder dass sie nächstes Jahr in New York aufs College gehen werde. Manchmal fragt sie sie auch, was für einen Wagen sie fahren, und erzählt ihnen, was sie für einen hat. Wie aufregend!«
    Ein kurzes Schweigen trat ein, ehe Mrs. Harvey ihren Refrain wieder anstimmte:
    »Ich weiß nur, dass nicht halb so liebenswerte und reizvolle Mädchen wie sie auch Erfolg haben. Martha Carey zum Beispiel ist stämmig und laut, und ihre Mutter ist entschieden gewöhnlich. Und Roberta Dillon sieht dieses Jahr so mager aus, als müsste sie mal zur Kur nach Arizona. Sie tanzt sich noch zu Tode.«
    »Aber Mutter«, entgegnete Marjorie gereizt, »Martha ist fröhlich und wahnsinnig schlagfertig und sieht wahnsinnig schick aus, und Roberta ist eine phantastische Tänzerin. Sie wird schon seit

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