Winterträume
Ewigkeiten von allen umschwärmt!«
Mrs. Harvey gähnte.
»Ich glaube, es ist dieses komische indianische Blut in Bernice’ Adern«, fuhr Marjorie fort. »Vielleicht kommen bei ihr die Gattungsmerkmale wieder durch. Indianerfrauen haben auch immer nur dagesessen und nichts gesagt.«
»Jetzt aber ab ins Bett mit dir, du dummes Kind«, lachte Mrs. Harvey. »Wenn ich geahnt hätte, dass du dir so etwas merkst, hätte ich’s dir nicht erzählt. Und das meiste von dem, was du sagst, halte ich für baren Unsinn«, fügte sie schläfrig hinzu.
Wieder trat ein Schweigen ein, während Marjorie sich fragte, ob es einen Versuch wert war, ihre Mutter von ihrer Ansicht zu überzeugen. Leute über vierzig lassen sich selten dauerhaft von etwas überzeugen. Mit achtzehn sind unsere Überzeugungen Anhöhen, von denen wir herabblicken; mit fünfundvierzig sind es Höhlen, in denen wir uns verstecken.
Nachdem sie zu diesem Schluss gelangt war, sagte Marjorie ihrer Mutter gute Nacht. Als sie auf den Flur hinaustrat, war er ganz leer.
III
Während Marjorie am nächsten Morgen spät beim Frühstück saß, kam Bernice herein, sagte förmlich guten Morgen, setzte sich ihr gegenüber, schaute sie aufmerksam an und befeuchtete sich ein wenig die Lippen.
»Was hast du denn?«, fragte Marjorie verwirrt.
Bernice zögerte, bevor sie ihre Handgranate warf.
»Ich habe gehört, was du gestern Abend zu deiner Mutter über mich gesagt hast.«
Marjorie erschrak, doch ihre Wangen röteten sich nur leicht, und als sie antwortete, war ihre Stimme ganz ruhig.
»Wo warst du denn?«, fragte sie.
»Im Flur. Ich wollte nicht lauschen – zuerst.«
Nachdem sie ihr unwillkürlich einen verächtlichen Blick zugeworfen hatte, schlug Marjorie die Augen nieder und schien auf einmal sehr damit beschäftigt, einen einzelnen Cornflake auf dem Finger zu balancieren.
»Ich fahre wohl besser wieder nach Eau Claire zurück – wenn ich so lästig bin.« Bernice’ Unterlippe zitterte heftig, und sie fuhr mit bebender Stimme fort: »Ich habe mir Mühe gegeben, nett zu sein, aber – aber erst hat man mich nicht beachtet und dann auch noch beleidigt. Keiner, der bei mir zu Gast war, ist je so behandelt worden.«
Marjorie schwieg.
»Aber ich sehe ja, dass ich hier im Weg bin. Ich störe dich. Deine Freunde mögen mich nicht.« Sie schwieg einen Moment; dann fiel ihr eine weitere Kränkung ein. »Natürlich war ich wütend, als du letzte Woche angedeutet hast, mein Kleid sei unvorteilhaft. Meinst du denn, ich wüsste nicht, wie man sich anzieht?«
»Nein«, murmelte Marjorie kaum hörbar.
»Was?«
»Ich habe nichts angedeutet«, sagte Marjorie knapp. »Wenn ich mich recht entsinne, habe ich gesagt, es sei besser, ein vorteilhaftes Kleid dreimal hintereinander anzuziehen, als es abwechselnd mit zwei schrecklichen zu tragen.«
»Findest du, das war besonders nett?«
»Es sollte ja gar nicht nett sein.« Nach einer kleinen Pause fragte sie: »Wann reist du ab?«
Bernice zog scharf die Luft ein.
»Oh!«, entfuhr es ihr.
Marjorie blickte überrascht auf.
»Hast du nicht gesagt, du wolltest abreisen?«
»Ja, aber –«
»Ach so, du hast nur geblufft!«
Einen Moment lang starrten sie einander über den Frühstückstisch hinweg an. Vor Bernice’ Augen zogen kleine Schleierwolken vorbei, während Marjories Miene jenen harten Ausdruck annahm, den sie aufsetzte, wenn leicht berauschte junge Collegestudenten ihr den Hof machten.
»Du hast also geblufft«, wiederholte sie, als wäre das zu erwarten gewesen.
Bernice gestand es ein, indem sie in Tränen ausbrach. Marjorie blickte sie gelangweilt an.
»Du bist meine Cousine«, schluchzte Bernice. »Ich bin dein Ga-hast. Ich wollte einen Monat hierbleiben, und wenn ich jetzt nach Hause fahre, weiß meine Mutter sofort Bescheid und wird sich fra-hagen –«
Marjorie wartete ab, bis der Schwall gebrochener Wörter sich in kleine Schnieflaute auflöste.
»Ich gebe dir mein Taschengeld für diesen Monat«, sagte sie kalt, und: »Du kannst die letzte Woche verbringen, wo du willst. Es gibt da ein sehr schönes Hotel…«
Bernice’ Schluchzer kletterten auf Flötentonhöhe, dann stand sie unvermittelt auf und flüchtete aus dem Zimmer.
Eine Stunde später, als Marjorie in der Bibliothek damit beschäftigt war, einen jener unverbindlichen, sagenhaft vagen Briefe aufzusetzen, wie nur ein junges Mädchen sie schreiben kann, tauchte Bernice ziemlich rotäugig und bemüht ruhig wieder auf. Sie würdigte
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