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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Satinpantoffeln weniger verhüllten als vielmehr gezierten Füße ruhten auf der Armlehne eines zweiten Sofas unmittelbar neben dem ihren. In der Hand hielt sie eine halbe Zitrone, an der sie ab und zu genüsslich leckte, um sich beim Lesen zu erfrischen. Die andere Hälfe der Zitrone lag ausgelutscht auf dem Boden und schaukelte leise im Rhythmus der kaum wahrnehmbaren Strömung hin und her.
    Das Fruchtfleisch der zweiten Zitronenhälfte war beinahe aufgezehrt, und das goldene Halsband hatte erstaunlich an Weite gewonnen, als auf einmal schwere Schritte die in schläfriger Stille dahindämmernde Yacht aufstörten und ein mit einem ordentlich gescheitelten Grauschopf versehener und mit einem weißen Flanellanzug bekleideter älterer Herr oben an der Kajütstreppe erschien. Dort verharrte er einen Moment, bis sich seine Augen an die Sonne gewöhnt hatten, dann sah er das Mädchen unter der Markise und gab ein leises, langgezogenes und missfälliges Knurren von sich.
    Sollte er damit die Absicht verfolgt haben, irgendeine Art von Aufschreckung zu bewirken, so wurde er enttäuscht. Das Mädchen blätterte seelenruhig zwei Seiten gleichzeitig um, schlug dann eine wieder zurück, hob die Zitrone gedankenverloren auf Zungenhöhe und gähnte – ganz leicht nur, aber doch unmissverständlich.
    »Ardita!«, sagte der Grauschopf streng.
    Ardita machte einen kurzen Laut, aus dem sich nichts entnehmen ließ.
    »Ardita!«, wiederholte er. »Ardita!«
    Ardita hob träge die Zitrone zum Mund und ließ sich, kurz bevor sie mit der Zunge drüberfuhr, zu einem knappen Dreiwortsatz herbei:
    »Halt die Klappe.«
    »Ardita!«
    »Was denn?«
    »Willst du mir jetzt zuhören – oder muss ich erst einen Diener holen, damit er dich festhält, während ich mit dir rede?«
    Die Zitrone vollführte eine langsame, sarkastische Abwärtsbewegung.
    »Gib’s mir doch schriftlich.«
    »Würdest du wohl so viel Anstand haben, dieses abscheuliche Buch zu schließen und diese blöde Zitrone für zwei Minuten aus der Hand zu legen?«
    »O Mann, kannst du mich denn nicht mal eine Sekunde in Ruhe lassen?«
    »Ardita, ich bekam soeben einen Telefonanruf von Land –«
    »Telefon?« Zum ersten Mal zeigte sie einen Anflug von Interesse.
    »Ja, es war –«
    »Soll das heißen«, fiel sie ihm erstaunt ins Wort, »hier draußen gibt’s ’ne Leitung?«
    »Ja, und soeben –«
    »Und da kommt einem kein andres Schiff in die Quere?«
    »Nein. Die geht ja auf dem Grund entlang. Vor fünf Mi–«
    »Mein lieber Scholli! Hut ab! Ein Wunderwerk der Technik, was?«
    »Würdest du mich jetzt bitte einmal ausreden lassen?«
    »Schieß los!«
    »Also, es ist – also, ich bin hier heraufgekommen, um –« Er unterbrach sich und schluckte ein paarmal vor Verlegenheit. »Ah, ja. Junge Dame, Colonel Moreland hat noch einmal angerufen, er hat mich dringend gebeten, dich zu diesem Dinner mitzubringen. Sein Sohn Toby ist extra aus New York angereist, um dich kennenzulernen, und es sind auch noch eine Menge andere junge Leute eingeladen. Zum letzten Male, wirst du –«
    »Nein«, sagte Ardita kurz, »ich denk nicht dran. Du weißt doch, dass ich diese blöde Kreuzfahrt überhaupt nur mitmache, weil sie nach Palm Beach gehen soll, aber irgendeinen blöden alten Colonel oder irgendeinen blöden jungen Toby oder irgendwelche blöden jungen Leute kennenzulernen, das lehne ich rundheraus ab, und ich denke gar nicht daran, auch nur einen Fuß in irgendeine andre blöde alte Stadt in diesem durchgedrehten Bundesstaat hier zu setzen. Entweder du bringst mich nach Palm Beach, oder du hältst die Klappe und schiebst ab.«
    »Sehr gut. Damit hast du das Fass zum Überlaufen gebracht. So vernarrt, wie du in diesen Mann bist – diesen Mann, der ein berüchtigter Wüstling ist, diesen Mann, dem dein Vater nicht einmal erlaubt haben würde, auch nur deinen Namen auszusprechen –, so vernarrt wie du in diesen Mann bist, das ist allenfalls der Halbwelt würdig, aber nicht den Kreisen, in denen du ja doch wohl aufgewachsen bist. Von heute an –«
    »Ja, ja«, fiel ihm Ardita spöttisch ins Wort, »›von heute an sind wir geschiedene Leute‹. Du wiederholst dich. Aber weißt du was? Nichts, was mir lieber wäre.«
    »Von heute an«, erklärte er pathetisch, »habe ich keine Nichte mehr. Ich –«
    »A-a-a-ah!« So klang der Schmerzensschrei einer verlorenen Seele, der sich Arditas Brust entrang. »Jetzt hör doch mal auf, mir auf die Nerven zu gehn! Schieb endlich ab! Von mir aus

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