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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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kannst du über Bord springen und ersaufen! Muss ich dir erst das Buch hier an den Kopf schmeißen?«
    »Wehe, du wagst es –«
    Klatsch! Der Aufruhr der Engel flog durch die Luft, verfehlte sein Ziel nur um die Länge eines kurzen Näschens und hüpfte fröhlich die Kajütstreppe hinunter.
    Der Grauschädel trat instinktiv einen Schritt zurück und dann vorsichtig zwei Schritte nach vorn. Ardita sprang auf, reckte sich zu ihrer vollen Länge von einem Meter fünfundsechzig empor und starrte ihn mit ihren grauen, vor Empörung flackernden Augen trotzig an.
    »Hau ab!«
    »Wie kannst du es wagen!«, schrie er.
    »Verdammt noch mal, ich mach, was mir gefällt!«
    »Du wirst immer unerträglicher! Dein Charakter…«
    »Selber schuld! Wenn ein Kind einen schlechten Charakter hat, dann ist das einzig und allein die Schuld seiner Familie! Schließlich habt ihr mich doch zu dem gemacht, was ich bin.«
    Da drehte sich ihr Onkel brabbelnd und brummelnd um und machte sich, laut nach der Barkasse rufend, davon. Doch dann kam er noch einmal zurück. »Ich gehe jetzt an Land«, sagte er in bedächtigem Ton zu Ardita, die inzwischen wieder unter der Markise Platz genommen hatte und mit ihrer Zitrone beschäftigt war. »Heute Abend um neun bin ich wieder an Bord. Und danach fahren wir unverzüglich heim nach New York. Dort werde ich dich deiner Tante übergeben. Bei der kannst du dann bis ans Ende deiner Tage bleiben und dein tristes, oder besser: dein wüstes Leben fristen.«
    Doch plötzlich hielt er inne und fasste sie ins Auge, und beim Anblick ihrer Schönheit, die etwas so unerhört Kindliches hatte, krampfte sich ihm das Herz zusammen, sein Groll erschlaffte wie ein aufgeblasener Reifen, aus dem die Luft entweicht, und er stand da und kam sich hilflos vor, unsicher und vollkommen töricht.
    »Ardita«, sagte er nicht unfreundlich, »ich bin nicht von gestern. Ich bin herumgekommen in der Welt. Ich kenne die Männer. Und, Kind, so ein eingefleischter Libertin, der ändert sich nicht einfach, es sei denn, er wird müde – und dann ist er nicht mehr der, der er mal war, dann ist er nur noch eine leere Hülle, ein Schatten seiner selbst.« Er sah sie an, als hoffte er auf ihre Zustimmung, doch als nichts dergleichen zu sehen oder zu hören war, fuhr er fort. »Durchaus möglich, dass der Mann dich liebt, das ist nicht auszuschließen, nur: Er hat schon viele Frauen geliebt, und er wird noch viele lieben. Nicht einmal einen Monat ist es her, Ardita, nicht mal einen Monat, dass er diese allseits bekannte Affäre mit dieser Rothaarigen hatte, dieser Mimi Merril; das Diamantarmband hat er ihr versprochen, das der russische Zar seiner Mutter geschenkt hat. Das weißt du doch – das hast du doch in der Zeitung gelesen.«
    »Sensationelle Skandale – erzählt von einem ängstlichen Onkel«, gähnte Ardita. »Lass die Story doch verfilmen. Hintertückischer Lebemann macht jungfräulichem Bubikopf schöne Augen. Verführt schlussendlich jungfräulichen Bubikopf mit Hilfe seiner finsteren Vergangenheit. Bubikopf hat die Absicht, sich in Palm Beach mit ihm zu treffen. Plan wird von ängstlichem Onkel vereitelt.«
    »Himmelherrgott, kannst du mir vielleicht mal sagen, warum du ihn heiraten willst?«
    »Eher nicht«, entgegnete Ardita kurz. »Vielleicht, weil er von allen Männern, die ich kenne – egal, ob gut, ob schlecht –, der einzige ist, der Phantasie hat und den Mut, eine eigene Meinung zu vertreten. Vielleicht, damit ich diese ganzen jungen Trottel los bin, die nichts Besseres zu tun haben, als mir landauf, landab hinterherzurennen. Aber was das russische Armband angeht, in dem Punkt kannst du ganz beruhigt sein. Das wird er mir nämlich in Palm Beach schenken – wenn du auch nur ein Fitzelchen Verstand beweist.«
    »Und was ist mit der – mit der Rothaarigen?«
    »Die hat er seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen«, sagte sie wütend. »Du glaubst doch wohl nicht etwa, ich hätte nicht den nötigen Stolz, um solche Dinge vorab klarzustellen? Hast du denn immer noch nicht kapiert, dass ich die Kerle allesamt nach Lust und Laune um den Finger wickeln kann?«
    Sie reckte das Kinn empor wie die berühmte Frankreich-in-Aufruhr-Büste von Jo Davidson, vermasselte allerdings die Pose ein klein wenig, indem sie die Zitrone hob, um abermals zur Tat zu schreiten.
    »Ist es das russische Armband, das dich so fasziniert?«
    »Nein, ich versuche lediglich, dir ein Argument zu liefern, das deiner Intelligenz entspricht. Und ich

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