Wintzenried: Roman (German Edition)
vermacht er den drei ortsansässigen Klöstern, den Kapuzinern, Augustinern und den Nonnen von der heiligen Clara, zu gleichen Teilen seine vierundzwanzig Bücher, damit sie für ihn dann Totenmessen lesen. Der ehemalige Anzug des Gärtners und dessen Uhr gehen an Françoise-Louise de la Tour, Comtesse de Warens, seine Mama, zurück.
Obwohl Jean-Jacques mit dem Leben schon so gut wie abgeschlossen hat, versucht Mama, ihn immer wieder aufzumuntern und ihm ein bisschen Lust auf Lust zu machen. Bei allem Mitgefühl will sie nicht nur ständig mit einem Nervenbündel zusammen sein und die Krankenschwester spielen müssen. Weil wenigstens einer von ihnen an die Zukunft denken muss, schickt sie einen Brief nach Nyon.
Jean-Jacques erfährt davon erst, als sein Vater ihm schreibt. Mamas Brief muss schlimm gewesen sein. Dass jemand, der sich so gut wie nie um ihn gekümmert hat, sich jetzt einen solchen Ton erlaubt, empört Jean-Jacques. Es ist ein Brief, der nur aus Vorwürfen und Klagen besteht, verfasst von einem Mann, der bislang durch alles andere als Beständigkeit aufgefallen ist. Jean-Jacques hat das Gefühl, alles Recht der Welt zu haben, außer sich zu sein. So außer sich, dass er sogar Mama anschreit. Was Mama sich verbitten lässt. Worauf Jean-Jacques erst recht schreit. Und worauf sie seelenruhig sagt: Verschwinde!
Jean-Jacques weiß nicht, was jetzt besser wäre: weiterschreien, den Koffer packen oder einen Zusammenbruch bekommen. Ohne viel dazu tun zu müssen, kommen ihm die Tränen. Und dann kommen die Entschuldigungen. Und dann die Umarmungen. Sodass am Ende beide heulen.
Zwei Wochen später schreibt Jean-Jacques an seinen Vater:
In Ihrem letzten Brief, den Sie die Güte gehabt haben, mir zu schreiben, ermahnen Sie mich, Ihnen, was eine Anstellung angeht, meine Ansicht mitzuteilen. Ich bitte Sie, mich zu entschuldigen, dass ich mit meiner Antwort habe auf mich warten lassen; die Angelegenheit ist wichtig, ich habe einige Tage gebraucht, um mir Gedanken zu machen und um Sie daran in aller Klarheit teilhaben zu lassen. Ich stimme mit Ihnen, mein sehr lieber Vater, ganz und gar überein, was die Notwendigkeit angeht, zur rechten Zeit eine Tätigkeit zu wählen und sich mit ihr zu beschäftigen, um ihr dann tatsächlich nachzugehen; das habe ich wohl verstanden. Gingen wir einmal davon aus, dass meine Begabung zu einem theologischen oder juristischen Studium tendierte, so steht fest, dass ich dafür finanzielle Unterstützung bräuchte, um mich ernähren, kleiden und für sonstige Unkosten aufkommen zu können. Gesetzt den Fall, der Handel wäre mein Ziel, so müssten Sie mir, ganz unabhängig vom Unterhalt, eine Ausbildung bezahlen und danach auch noch für einen angemessenen Betrag aufkommen, damit ich ein ordentliches Geschäft aufbauen kann; die Kosten wären nicht viel geringer bei der Wahl eines Berufes; zwar verstehe ich einiges vom Gravieren und Radieren, nur war das nie nach meinem Geschmack. Doch das alles ist Vergangenheit. In dem Alter, in dem ich jetzt bin, ist es zu spät, über all das nachzudenken, denn es gehört zu meinem erbärmlichen Zustand, dass, würde ich eine solide Wahl getroffen haben, mir die nötige Unterstützung gefehlt hätte. Was sich in der gegenwärtigen Lage, in der ich mich befinde, machen lässt, so muss ich sagen: Zum einen kann ich ganz passabel musizieren, zum anderen besitze ich einiges Talent zum Schreiben (und ich rede hier von Stil), was heißt, dass ich eine Beschäftigung als Sekretär bei einem Grand Seigneur bekommen könnte, womit ich schließlich in einigen Jahren und mit einiger Erfahrung als Erzieher auserwählter junger Leute tätig werden könnte. Mit der Musik ist es, ganz praktisch gesehen, weniger schwierig, denn man kann sie überall und in jedem Land ausüben; die Menschen sind so gemacht, dass sie das Angenehme dem Nützlichen vorziehen; man muss sie bei ihren Schwächen packen und Vorteil daraus ziehen. Was nun die Stelle eines Erziehers anbelangt, gestehe ich Ihnen gern, dass ich dafür eine gewisse Vorliebe hege, was Sie erst einmal überraschen mag, doch halten Sie noch kurz mit einem Urteil inne. Sie müssen nicht denken, mein lieber Vater, dass ich mich so vollkommen der Musik anheimgegeben habe, dass ich alle anderen Arten von Arbeit vernachlässigt hätte; die Güte, mir eine Zuflucht zu bieten, welche Madame de Warens hatte, verschaffte mir den Vorteil, meine Zeit mit Nützlichem verbringen zu können, was ich mit reichlicher Umsicht bis
Weitere Kostenlose Bücher