Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Schreibtischstuhl. Er war das einzige Sitzmöbel mit ausgekleideter Sitzfläche. Ein weiterer Stuhl war übersät mit Kleidungsstücken. Meine Herren, dachte Anke und schämte sich dafür, wie es in ihrer Bude aussah. Aber sogleich schob sie das beschämende Gefühl als im Augenblick völlig unwichtig zur Seite. Mit einer ausholenden Handbewegung fegte sie die Kleidungsstücke vom Stuhl auf den Boden, zog ihn heran und nahm Leonie gegenüber Platz.
„ Sie haben wirklich Glück, ich bin gerade erst gekommen.“
„ Ich weiß, ich warte schon eine lange Weile in meinem Auto.“
„ Aber warum haben Sie mich denn nicht angerufen“, fragte Anke erstaunt.
Leonie lächelte schwach. „Ich habe mein Handy vergessen und eine Telefonzelle war nicht in Sicht, außerdem, es war mir auch egal. Ich habe einfach nur da gesessen und gewartet. Ich wusste irgendwie, dass sie bald kommen würden.“
Hatte ihr Besuch etwas mit dem Vorfall in der Kirche zutun? Leonie holte unter Ankes abschätzendem Blick hörbar Luft. Wie schützend legte sie dabei ihre flache Hand auf die Kehle, bevor sie sich leicht vorbeugte. Mit gesenkter Stimme sagte sie. „Ich kann es nicht mehr kontrollieren, glaube ich, und, er, er ist nicht, er soll nicht mein Vater sein, faselte was von Heiraten. Ich bin völlig durcheinander.“
Jetzt lehnte auch Anke sich vor. Sie fühlte, wie sich ihr Herz erwärmte und auch etwas wie Stolz in sich aufsteigen, denn Leonie vertraute ihr.
„Was, wie ...? Moment mal ...“ Anke atmete durch. „Bitte, alles der Reihe nach.“ Ihre Hand beschrieb eine theatralische Geste; um ihre Bitte zu unterstreichen.
„ Meine Gedanken auf ihn waren so böse. Er hat vorgetäuscht, mich zu lieben, wollte mich heiraten, aber er hat mich nur benutzt.“
„ Sie meinen den jungen Mann aus den Weinbergen?“
Leonie nickte. „Sie haben ihn damals gesehen, nicht wahr?“
„Hmmm.“
„ Ich habe den Kerzenständer nur angeschaut, es gedacht, und dann war es schon passiert. Ich wollte ihn noch zurück ordern, aber es gelang nicht mehr. Oh Gott, hoffentlich wird er wieder ganz gesund.“
»Sicherlich«, versuchte Anke zu trösten. Über Leonies Wangen rollten Tränen. „Ich weiß nicht, es tut mir leid und doch wieder nicht. In mir ist alles durcheinander. Ich wollte, dass er nie wieder so etwas machen kann wie mit mir, deswegen ... oh Gott, und dann kam das mit meinem Vater, und er hat sich mit Thomas Broll gestritten, ihm gekündigt. Es ist so viel in so kurzer Zeit auf einmal passiert.“ Leonie schluchzte heftig auf und schniefte. Anke wühlte in ihren Schreibtischunterlagen nach der Packung Papiertücher, die da irgendwo verborgen liegen musste. Ein Ordner fiel auf den Boden, legte aber die Packung frei. „Wenn ich das richtig verstanden habe, Leonie, ist Ihr Vater angeblich nicht ...“
„ Nein, er ist ..., oder besser, er soll nicht mein Vater sein“, fiel Leonie ihr schluchzend ins Wort. „Jedenfalls hat er sich so geäußert. Ich weiß nicht, ob es stimmt oder ob er nur spinnt.“
„ Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal, und ich koche uns inzwischen einen Tee. Sie stand auf. In der Pantryküche setzte sich das Chaos ihrer Wohnung weiter fort.
„ Und wenn er es tatsächlich nicht ist“, hörte sie Leonie jetzt ein wenig aufgeregt hinter ihr herrufen, „dann bin ich frei! Ich brauche nie wieder Angst vor ihm zu haben, dass er mich bedrängt, dass er mich .... Ich kann hin, wo ich will.“
Anke hielt inne, drehte sich zu ihr um und sah sie an. „Sie meinen, er hat Sie sexuell belästigt?“
Sie fühlte sich nicht wohl bei der Frage. Der Steinflugabend am Rotweinwanderweg kam ihr in den Sinn. „Hatte er sie an dem Abend in den Weinbergen vorher auch ...“, sie schluckte, „bedrängt, ich meine ...“
Leonie atmete durch und nickte.
Anke wandte sich abermals ihrer Küche zu. Schmutziges Geschirr türmte sich. Sie machte das, was sie am besten konnte, sie ignorierte es. Das kurze Gespräch zwischen Rosskamp und dem Geistlichen am Heck ihres Fahrzeuges auf dem Rosskampparkplatz drängte sich in ihre Gedanken. Wie hatte der Pastor gesagt? Sie überlegte angestrengt, irgendetwas, was sich Rosskamp gut überlegen sollte, um nicht andere ins Unglück zu stürzen und Leonie einen Schock zu versetzen. Wusste der Pastor eventuell, dass Rosskamp nicht Leonies Vater war? Hatte er das gemeint? Anke füllte den Wasserkocher und fand noch zwei saubere Becher. Sie platzierte sie, während sie ihre Besucherin aus den
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