Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
junges Reh. Andererseits, wenn sie gereizt wurde oder mit etwas konfrontiert, was ihr nicht passte, schien sie dynamisch und willensstark. Ein Widerspruch, über den Anke nicht weiter nachdenken konnte, denn es klingelte erneut. Das ist doch nicht etwa Wolf, dachte sie als Erstes. Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, bemerkte sie auch einige andere Mitbewohner auf den Fluren. Eine männliche Stimme im Stockwerk unter ihr fragte nach dem Besitzer des Smarts vor dem Haus. Anke beugte sich über das Treppengeländer. Zwei Polizisten schritten die Treppe hoch.
„ Der Smart? Ich habe keine Ahnung“, beteuerte sie auf die wiederholte Frage. Ihr Herzschlag stockte einen Moment, als sie Leonies Stimme in ihrem Rücken hörte.
„ Der Smart gehört mir.“
Die beiden Polizisten erreichten Ankes Etage. Der eine blickte übers Geländer nach unten, ehe er vorschlug, in die Wohnung zu gehen, um den neugierigen Mitbewohnern zu entkommen. Leonie erstaunte Anke aufs Neue. Gefasst und mit einem trotzigen Lächeln, das anscheinend keine Gefahr vermuten ließ, blickte Leonie mit leicht gerecktem Kinn die beiden Polizisten an. Nachdem sie bestätigt hatte, dass sie Leonie Rosskamp sei, eröffnete einer der beiden Männer: „Es gab eine Funkfahndung. Nach Ihnen wird gesucht. Wir haben zufällig den Wagen entdeckt.“
„Funkfahndung, gesucht?“, wiederholte Leonie verwundert und ihr Lächeln gefror zu einer grotesken Maske. „Lässt mein Vater mich nun schon durch die Polizei suchen?“
Die beiden Polizisten wechselten einen kurzen Blick, den Anke nicht recht zu deuten wusste, aber sie glaubte, dass Leonies Worte sie irritiert hatten. Der Größere von beiden fuhr sich einige Male mit der Hand über den Mund. „Ihr Vater ...“, er zögerte, „ist tot, ermordet. Er wurde erstochen.“ Anke war sofort an Leonies Seite. Sie schien nicht sogleich zu begreifen. Dann schüttelte sie mehrmals den Kopf, als wollte sie testen, ob sie wache oder träume. Schließlich wiederholte sie das Wort, das ihr beinahe im Hals stecken bleiben wollte. „Er... ermordet?“
Der Beamte nickte bedächtig und sagte gedehnt. „Am Samstagabend. Näheres erfahren Sie von den zuständigen Kollegen in Neuenahr.“
Aber Leonie schien nicht hingehört zu haben. „Deswegen hat er nicht mehr an meiner Tür gepocht, deswegen konnte ich so lange schlafen“, murmelte sie zu sich selbst.
„ Was meinen Sie bitte“, hakte einer der Polizisten gleich nach.
„ Ach ...“ Leonie deutete eine Handbewegung und machte keine Anstalten, weiter auf ihre Äußerung einzugehen.
„ Frau Rosskamp, bitte begleiten Sie uns jetzt. Wir fahren Sie nach Bad Neuenahr und dort geschieht alles Weitere.“ Der Größere ging auf sie zu, fasste sie sachte am Arm und geleitete sie aus der Wohnung.
Peng!, dachte Anke, sie war wieder mitten in einem Mordfall gelandet. Hatte Leonie etwas mit dem Mord an ihrem Vater zu tun? Ihn womöglich umgebracht? Anke schüttelte den Kopf, während sie ihre Jacke schnappte und den anderen folgte. Nein, diesen Gedanken konnte sie nicht ernst nehmen. Erstochen, überlegte sie weiter. Leonie aber hätte ihn mit der Kraft ihrer Gedanken töten können, Herzstillstand oder ein Todessturz wie Irmi Lange, oder ... oder ...? Jedenfalls hätte sie ihn nicht per Hand erstechen müssen. Oder aber hatte sie diesmal lediglich ihre Körperkraft eingesetzt? Letztendlich kannte sie diese Frau ja nicht. Leonie Rosskamp hatte sie in ihrer Persönlichkeit überrascht, denn sie war nicht nur auf faszinierende Art scheu, sondern in ihr tobte auch der Teufel.
18
„Ich war es nicht“, beteuerte Thomas Broll zum wiederholten Male und wischte sich mit einem Taschentuch über die feuchte Stirn. Der Angstschweiß trieb ihm aus allen Poren. Zunächst hatte Münch ihn nur als Zeuge vernommen. Ihn darüber belehrt, dass er verpflichtet sei, die Wahrheit zu sagen. Das hatte Broll natürlich gewusst und gleich daran gedacht, dass er schon gelogen hatte, weil er sicher war, dass es für sein Zusammentreffen mit Rosskamp keine Zeugen gab. Jedenfalls hatte er niemanden gesehen, dank des nasskalten Wetters nach dem Gewitter. Er hatte seine auf der Terrasse gemachte Aussage protokollieren lassen, unterschrieben und gedacht, er könne gehen. Zwischen seinen Aussagen waren seine Gedanken ständig zum Weingut abgewandert. Was würde werden, jetzt, da Rosskamp tot und nicht sicher, was mit Leonie los war? Er hatte gerade den Kugelschreiber aus der Hand gelegt, als sich
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