Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
ohne sich noch einmal umzudrehen, bis zur Ahrbrücke.
„ Danke!“, rief Anke ihr nach und blieb solange stehen, bis Helga vor der Brücke in die Ahruferstraße abbog.
Versonnen trottete Anke zurück zum Wagen. Angekommen, öffnete sie mit einem Ruck die Tür. Wolf hatte den Kopf gegen die Nackenstütze gelegt und tat, als würde er schlafen. Anke ging auf das Spiel ein, ließ die schwere Tür sanft einschnappen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Wolf öffnete die Augen. „Soll ich dir mal was sagen, meine Liebe?“
Sie kannte ihn zu gut und beugte sich zu ihm vor, dass sie in sein Gesicht sehen konnte. Ihr schien, als läge ein Schmunzeln in seinen Augen. Sanft drückte sie, während sie hauchte: „Du bedauerst zutiefst ...“, ihre Lippen zwischen den einzelnen Worten auf seinen Mund, „dass du mit mir im Ahrtal Urlaub gemacht hast.“
Spontan fasste er ihren Kopf mit beiden Händen u nd küsste sie leidenschaftlich. „Stimmt! Und nun ab nach Hause, Himmelbett und einen trockenen Roten.“ Anke lachte. „Genau, ich hab dir viel zu erzählen.“
„ Ich kann’s kaum erwarten“, stöhnte er auf und startete den Motor.
24
Nachdem er seine Jugendfreundin Helga Ecke Gildenschenke abgesetzt hatte, fuhr Johannes ziellos durch die Gegend. Passierte Bad Neuenahr, Bad Bodendorf, den Kreisel und fand sich schließlich auf der B9 Richtung Remagen. Wohin wollte er eigentlich? Allmählich drängte das sinnlose Fahren in sein Bewusstsein. An einer geeigneten Stelle wendete er den Wagen und fuhr zurück. Der Motor surrte wie eine zufriedene Katze. Ein schönes Auto, dachte Johannes und ein wenig meldete sich sein Gewissen, weil er in dem Wagen seines ermordeten Bruders unterwegs war. Er hatte Leonie vorher gefragt. Sie hatte nur genickt, als wäre ihr das völlig egal und auch unnötig, sie überhaupt zu fragen. Er hatte sich leicht irritiert abgewandt. Seine Nichte war ihm ein Rätsel. Er musste lächeln, als er sie in Gedanken vor sich sah. Leonie hatte das Rot der Sonne in ihren Haaren. Wenn er sie anschaute, sah er immer Elene vor sich, wie sie damals war. Jung, schön und voller Träume, voller Visionen. Er seufzte und scheuchte seine Gedanken an sie fort, bevor er melancholisch zu werden drohte.
Er hatte den Weg nach Hause eingeschlagen. Nach Hause, sinnierte er und lachte bitter auf. Leonie hatte ihm für den Übergang die Ferienwohnung angeboten, bis er etwas Geeignetes gefunden hatte. Somit profitierte er von den schrecklichen Ereignissen, denn es stand ihr nicht der Sinn nach einer Vermietung an Feriengäste. Er hatte nicht vor, sich eine Wohnung zu suchen, denn er spekulierte darauf, in seinem Elternhaus bleiben zu können. Vor allem jetzt nach Herberts Tod wollte er gerne seine Räume übernehmen, wagte aber noch nicht, Leonie das vorzuschlagen. Er war noch immer ein Fremder für sie. Sein Herz zog sich ein zusammen.
Eigentlich hatte sie ja kein Anrecht auf das gesamte Erbe. Schließlich war sie nicht einmal eine Winzertochter. Das stimmt nicht ganz, korrigierte er sich. Natürlich hatte sie Winzerblut in sich, wenngleich auch ein wenig verwässert. Er bog in die schmale Straße Am Silberberg ein, die ihn hoch in die Weinberge bringen würde. Seine Gedanken wanderten zurück in seine Jugendzeit. Damals, er schmunzelte, waren sie alle verrückt nach Elene gewesen. Sie hatte etwas unbeschreiblich Besonderes in Ihrem Wesen. Etwas überaus Sinnliches als auch Surreales in sich vereint. Auf der einen Seite hatte sie das Leben geliebt. Sie konnte übermütig und beschwingt sein und auf der anderen plötzlich in Gedanken versinken. Regelrecht wegtreten und eintauchen in das, was für das Auge nicht sichtbar war. Auch wenn sich die Clique darüber amüsiert hat. Elene hatte einen Hang zum Okkulten gepflegt. Nicht nur in der Clique wurde sie Mystiklady genannt. Aber auch Helga war auf ihre Weise faszinierend gewesen, flott, burschikos und immer eifersüchtig auf ihre Freundin. Die beiden hätten gegensätzlicher nicht sein können, aber trotz der ständigen Eifersüchteleien hatte, wenn es darauf ankam, sie ein unsichtbares Band zusammengehalten. „Mein Gott“, stöhnte Johannes unter seinen Gedanken auf. Die Feine und Erhabene, exotisch und außergewöhnlich wie heute ihre Tochter Leonie, und die Fröhliche, Burschikose, Naturverbundene. Nun war Elene schon lange tot und Helga sagte noch heute, sogar eben noch, als sie zusammen gewesen waren, Elene sei aus purem Kummer gestorben. Johannes seufzte.
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