Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
wusste plötzlich, mit was es zusammenhing. Der Lichtblick, Thomas Broll durch die Hinterlegung einer Kaution aus der Untersuchungshaft zu bekommen, bis sich alles aufgeklärt hatte. Das war es, was sie trug, weswegen sie sich auch endlich hatte aufraffen können, Johannes einige Arbeiten im Weinberg zu zeigen. Und plötzlich fühlte sie zum ersten Mal in ihrem Leben Zufriedenheit. Zwar hatte sie die Zügel noch nicht an sich gerissen, aber sie immerhin ergriffen, in dem sie die Mitarbeiter und Helfer zur Arbeit in den Weinbergen eingeteilt hatte.
Leonie parkte den Wagen auf dem Parkplatz › Bunte Kuh ‹, fast direkt hinter der Bank. Manchmal, wie jetzt, versetzte der Anblick noch immer ihr Blut in Wallung. Dieser Teil der Weinlage Pfaffenberg mit seiner betörenden Sicht auf das Kloster Kalvarienberg erfreute sie stets aufs Neue, selbst, wenn sie am Boden zerstört war. Jedes Mal beeindruckte sie die Aussicht auf das gewaltige Gebäude, und in diesem Augenblick noch ausgeprägter als zu der Zeit, wo sie unter Vaters Knute hier gearbeitet hatte. Ergriffen zog sie ihr Käppi ein wenig tiefer in die Stirn. Johannes stand neben ihr und folgte ihrer Blickrichtung. Die Rebstöcke des Pfaffenberg rankten sich in der heißen Julisonne in den gleichmäßig ausgerichteten Reihen den unebenen Berghang hinunter. Ihre Wurzeln bohrten sich tief in den Boden. Leonie ging ein paar Schritte vor, drückte einen Rebenzweig zur Seite, griff sich eine Traube und prüfte mit den Händen den Reifegrad. Sie nickte zufrieden und ging zurück zur Johannes. Er stand noch immer unbeweglich auf der Stelle.
„ Wunderschön, sagte er leise, als sie neben ihm stand. Seine Stimme wurde ein paar Dezibel leiser: „Wenn ich mich in der fremden Welt allein fühlte, habe ich mir die Weinberge des Ahrtals vorgestellt.“
Leonie warf ihm einen Seitenblick zu. „Bist du aus Heimweh zurückgekommen?“
„ Nicht nur. Ich erzähle es dir mal später.“
Leonie verstand den Hinweis, nicht weiter in ihn zu dringen. Sie unterwies Johannes darin, das Laub richtig zurückzuschneiden, um den Sonnenstrahlen freie Bahn zu den Trauben zu ermöglichen und auch die Durchlüftung zu gewährleisten, damit die Früchte nach Regengüssen schnell trockneten. In den nächsten Tagen mussten dann nach der Abschlussspritzung die Frühburgunderreben in allen Weinbergen des Rosskamp'schen Weinguts mit Netzen abgespannt werden, um die Trauben vor den eifrigen, immer hungrigen Vögeln zu schützen. Dann würde Ende August noch die Abschlussspritzung der anderen Weinlagen folgen. In früheren Zeiten setzte danach eine etwas ruhigere Zeit bis zur Ernte ein. Aber heute, aufgrund der hohen Qualitätsanforderungen, mussten nach der Spritzung die nicht der Qualität entsprechenden Trauben entfernt werden. Diese Arbeit ging oft nahtlos bis zur Ernte durch.
Johannes stellte sich geschickt an, verstand rasch, worauf es ankam. „ Ich hab’s mal gelernt und außerdem bin ich doch ein Winzersohn“, scherzte er, als sie ihm ein Kompliment machte. Seine Haare hatte er zu einem kurzen Schwänzchen gebunden, das keck durch die hintere Öffnung der blassgrünen Schirmmütze wippte. Er trug ein rot-schwarz-kariertes Hemd wie die amerikanischen Baumfäller, die Ärmel hoch gekrempelt, als wolle er demonstrieren: Jetzt packe ich zu.
Ständig ertappte sich Leonie dabei, wie sie in seinem Gesicht Ähnlichkeit mit Vater suchte – oder etwa mit ihr?, kam unvermittelt die bange Frage dazu. Am Morgen hatten sie zusammen gefrühstückt. Aus einem Impuls heraus hatte sie ihn zu sich herüber gebeten und deutlich gespürt, wie er sich bemühte, seinen wahren Gemütszustand zu überspielen. Aber es gab Sekunden, in denen ihr auffiel, wie bedrückt er war. Sie hatte gehofft, er würde etwas von sich erzählen, aber kein Wort, stattdessen hatte er sie gefragt. „Und dein Vater, ich meine, mein Bruder, war all die Jahre über mit Klaus befreundet gewesen?“ Im ersten Moment hatte sie nicht gewusst, wen er mit Klaus meinte. Der Vorname klang ihr fremd. Bis ihr klar wurde, dass er Onkel Lennart gemeint hatte. Sie lachte auf und erklärte. „Für mich ist er Onkel Lennart. Und auch Vater hat nie Klaus gesagt, ihn immer nur Lennart genannt.“ Sie erzählte weiter, wie sehr sie ihn mochte, mit wie viel Herzklopfen sie bei ihm die erste Beichte abgelegt hatte und dass er auch sonst immer für sie da war. „Gut“, hatte sie eingeschränkt, „jetzt, wo er in Trier ist, sind die Besuche weniger
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