Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
mögliche Verhalten Leonies Mutter vor ihrer Tochter in Schutz zu nehmen. Übergangslos fragte Anke. „Weißt du, ob deine Mutter auch ein Tagebuch geführt hat?“
Leonie schüttelte den Kopf.
„Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie, genau wie Helga, alles aufgeschrieben hat.“
„ Wenn, dann liegt es vielleicht auch auf dem Dachboden bei meinen Großeltern, ich habe aber keinen Kontakt zu denen.“
„ Nein, das glaube ich nicht. Wenn, dann hat sie es damals mitgenommen.
So ein delikates Geheimnis würde sie nicht irgendwo zurücklassen, rein psychologisch gesehen schon nicht.“
„Aber Helga hat es auch auf dem Dachboden verschwinden lassen“, warf Leonie ein.
„ Das ist etwas anderes. Sie brauchte es ja nicht zurücklassen. Erstens hat sie ihr Elternhaus nicht verlassen und zweitens hat sie ihr Geschriebenes vernichtet. Somit hatte sie nicht nötig, es zu hüten, wie es deine Mutter tun musste. Ich meine getan haben könnte.“
Leonie nickte verständnisvoll.
Anke referierte weiter. „Deine Mutter betraf es unmittelbar, anders als Helga. Sie hätte nur etwas verraten, was sie nicht sollte. Bei deiner Mutter lag die Sache völlig anders, weil es ›ihr’s‹ war, verstehst du? Ihr Ding, und deswegen glaube ich, dass sie es sich von der Seele geschrieben haben könnte.“
Anke startete den Motor, warf den ersten Gang ein und setzte den Wagen zurück, während sie in den aufheulenden Motor verlauten ließ. „Wir sollten Johannes, sobald er wieder aufgetaucht ist, ein paar gezielte Fragen stellen, was meinst du?“
Leonie antwortete nicht darauf. „Wie konnte meine Muter“, beschwerte sie sich stattdessen, „mich nur mit so einer Lüge aufwachsen lassen? Ich verstehe das nicht.“
„ Sie hat es gut gemeint.“
Leonie lachte auf. „Gut gemeint! Ich denke, sie war eher feige und wollte sich schützen.“
„Du solltest nicht so hart mit ihr sein“, besänftigte Anke sie, „lass uns lieber das Tagebuch suchen, und zwar sofort.“
„ Wenn es eines gibt“, zweifelte Leonie.
Als sie auf den Parkplatz auffuhren, sah ihnen Thomas Broll von der Terrasse aus entgegen.
„Oh je“, stöhnte Leonie, „ich hoffe, ich muss jetzt nicht wieder einspringen.“
Aber genau das erwartete Thomas von ihr.
„Nein, geht nicht“, erklärte sie ihm schroff.
Anke warf ihrer Freundin einen argwöhnischen Blick zu. Die Anspannung spiegelte sich in ihrem gereizten Ton wider. Leonie wehrte mit einer Handbewegung seinen ansetzenden Protest ab. Sie schien auch nicht den Drang zu verspüren, ihrer Vertrauensperson, wie sie Thomas erst kürzlich distanziert genannt hatte, zu erzählen, was sie herausgefunden hatten. Flüchtig, wie zur Entschuldigung, streifte Leonie seinen Arm. Anke bemerkte Leonies gezwungenes Lächeln, während sie an ihm vorbei hastete. Ebenfalls im Vorbeigehen warf Anke ihm einen kurzen Blick zu und zuckte mit den Schultern. Die Weinterrassen platzten buchstäblich vor Gästen aus den Nähten. Selbst den sich allmählich zuziehenden Himmel schienen sie zu ignorieren.
Oben in der Wohnung gingen sie schnurstracks in Elenes ehemaliges Zimmer. Es war ein mittelgroßer, blassrosa gestrichener Raum, vollgestopft mit zarten warm-braunen alten Möbeln, die heimelig abgewohnt aussahen und eigenartig willkürlich chaotisch zusammengewürfelt schienen. Überall standen gerahmte Fotos, Bücher und allerlei Nippes herum. An den Wänden hingen Reproduktionen von Marc Chagall, Monet und naive Malerei, deren Künstler Anke nichts sagten. Ihr kam es vor, als hätte Elene alles, was ihr unter die Finger gekommen war, gehortet und einfach irgendwo hingestellt. Der Raum wirkte wie ein Zufluchtsort. Einen Großteil des Parkettbodens bedeckte ein bordeauxroter Teppich mit wunderschönen Ornamenten, in dessen Mitte ein zierlicher Tisch mit geschwungenen Beinen stand. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Elene daran tief versunken über ihre ausgelegten Karten sitzen.
„ Vater hat es nach ihrem Tod als Gästezimmer mit benutzt. Onkel Lennart hat des Öfteren hier übernachtet“, erzählte Leonie, während sie sich durch die schmale Tür in den angrenzenden Abstellraum schob.
„ Sehr schön hier, gemütlich“, bewunderte Anke. Sie schritt langsam mit wachen Augen die Anbauwand ab. Entdeckte viele Bücher, die sich mit der Kunst des Kartenlegens, des Handlesens und der Grafologie beschäftigten, jede Menge esoterisches Material, Kriminalromane, Geschichtsbände. Elene Rosskamp schien sich für alles, was auf
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