Wir beide nahmen die Muschel
in den zweiten Stock. Oh mein Gott, wenn morgen Früh um fünf Uhr die ersten
Pilger das Haus verlassen, benötigen wir Ohrenschützer. Helga machte einen
Stadtbummel und ich hatte Zeit für meine Wäsche zu waschen. Aus meinen
Strümpfen kommt eine tiefschwarze Brühe. Als alles auf der Leine hängt habe ich
Zeit zum Schreiben. Meine Partnerin kommt zurück, sie hatte einmal nebenan in
die Staatliche Herberge reingeschaut. Sie war zum Heiligen Jahr total neu
renoviert worden und die Übernachtung kostete nur fünf Euro. Da hätten wir
sieben Euro sparen können. Nun hatte ich noch etwas Zeit, um mir das Städtchen
anzusehen. Aus einer Seitenstraße fährt ein Leichenwagen behängen mit vielen
Trauerkränzen, der Sarg wurde dahinter von sechs Männern auf den Schultern
getragen. Viele trauernde Menschen folgten ihn schweigend. Ganz anders wie bei
uns. Wenn ich zuhause den letzten Weg eines Verstorbenen mitgehe, betet man im
ersten Drittel der Trauernden den Rosenkranz, fast alle anderen unterhalten
sich und mache haben sogar einen Grund herzhaft zu lachen. Ich folge den
Trauernden in einem großen Abstand. Sie ziehen in eine Kirche und stellen den
Sarg vor dem Altar ab. Es folgte die heilige Messe mit drei Priester. Es war
eine sehr würdige Verabschiedung. Fünfzig Meter weiter das Heimatmuseum.
Trotzdem wir heute Samstag haben und es schon 18:00 Uhr war, hatte es noch
geöffnet, der Eintritt war kostenlos. Da meine Partnerin heute nicht zu Abend
essen wollte, ging ich allein ins Restaurant. Bei meiner Rückkehr lag sie schon
in süßen Träumen. Wir waren im Moment die einzigen im Schlafsaal, aber das wird
sich bestimmt bald ändern.
Melide — Arzúa
14 km, 300 m
Aufstieg, 260 m Abstieg
Sonntag, den
29. Mai 2011
W ir haben
eine halbe Stunde länger geschlafen, wir brauchten heute nicht zu hetzen. Nach
einem kleinen Frühstück waren wir zwei um acht Uhr losgegangen. Nun sind wir
schon eine ganze Stunde unterwegs. Gerade haben wir den Weiler Raido
durchschritten. Die Tür der Kapelle steht offen und in der Sakristei liegt für
uns ein Pilgerstempel. Es ist noch sehr kühl, aber zum Laufen sehr angenehm.
Die großen Berge haben wir schon Tage hinter uns gelassen, jetzt ist es nur
noch ein kurzes auf und ab durch große duftende Eukalyptuswälder, welche sich
mit Eichen- und Pinienwäldern abwechseln. Wir hatten uns gestern in der
Albergue nach den Eukalyptusbäumen erkundigt und man hatte uns gesagt, sie
können 60—100 Meter hoch werden und würden zum größten Teil für die
Papierherstellung verwendet. Es geht nun hinunter in das Tal des Río Boente und
wieder hoch nach Castaneda. Bis hierhin zu den Kalköfen hatten die
mittelalterlichen Pilger den Kalkstein aus Triacastela geschleppt, heute ist
von diesen Fabriken nichts mehr zu sehen. Nun geht es kräftig Bergauf- und ab
ins idyllisch gelegene Ribadiso de Baixo. Hier machten wir nach drei Stunden
unsere erste Pause. Das Klima scheint hier milder zu sein. Immer öfters sahen
wir Palmen in den Gärten und Anlagen der Häuser stehen, vereinzelt sogar
Kakteen und Bananenstauden. In manchen Grundstücken standen unzählige
langstielige Lilien mit großen weißen Kelchen. Auf der alten Landstraße ganz
ohne Autoverkehr kommen wir nach Arzúa, ein kleines Städtchen mit 2.600
Einwohnern. Es liegt auf 394 m Höhe, nur 133 m höher als Santiago. Es ist der
letzte größere Ort vor Santiago. Wir können es kaum glauben, in zwei Tage
werden wir es erreichen. Sieben Wochen waren wir nun unterwegs und wir haben
noch nicht eine Minute bereut. Welch eine Wohltat, heute ganz ohne Gepäck zu
gehen. Hätten wir das nur schon viel eher getan. Zwei Albergues lagen weit vor
dem Ortszentrum, noch im Wald gelegen. »Komm Heinz, lass uns schauen, ob sie
schon aufhaben für einen Stempel und zugleich nachsehen, ob das Taxi unsere
Rucksäcke nicht falsch abgegeben hat.« Die erste machte erst in einer halben
Stunde auf. Zwei fremde Rücksäcke standen vor dem Eingang. Ein Stück weiter ein
Café, »komm lass uns hier noch eine Pause machen und eine Kleinigkeit essen,
wir haben doch Zeit genug.« Dort trafen wir vier junge Burschen aus
Deutschland. Jeden Tag hatten sie uns überholt, immer mit einem Scherz auf den
Lippen. Sie waren gemeinsam jahrelang zur Schule gegangen, hatten nun das
Abitur bestanden und gingen zusammen die 330 km Strecke von León nach Santiago.
Sie waren schon eine tolle Truppe. Ich denke, dieser harte Weg wird sie so
zusammenschweißen, dass diese
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