Wir beide nahmen die Muschel
dafür ein Heiligenbildchen. Die Muttergottes mit dem
Jesuskind im Arm, ganz in weißen Gewändern gekleidet, steht sie in großen
Wolken aus weißer Watte, umgeben von vielen weißen Blumen mit großen
Blütenköpfen in einem Meer von Kerzen. Diese Figur sollte als Nächste
rausgetragen werden. Die Menschen waren sehr unruhig, sie warteten gespannt. Es
war mittlerweile stockdunkel geworden. Alle Figuren wurden mit echten Kerzen
beleuchtet. Plötzlich ein tausendfacher Aufschrei der Menge. Die Figur der
Himmelskönigin verließ langsam die Kathedrale. Ich war sehr ergriffen. Mir war
es vergönnt, so etwas herrlich Ergreifendes zu erleben. Wie fromm mussten diese
Menschen sein. Ich hatte es erlebt und jetzt wurde es Zeit den Rückweg
anzutreten. Manch einer findet eine Nähnadel im Heuhaufen, ich fand Helga in
dieser riesigen Menschenmenge. Leider war für uns das Erlebnis zu Ende. Viele
Figuren folgten noch, sehr gerne wären wir noch länger geblieben. Leider musste
ich feststellen, dass unsere Albergue auf der anderen Straßenseite lag, da
bekommen wir bestimmt ein großes Problem. Einige hundert Meter weiter
versuchten wir die Straße zu überqueren. Leider standen die Menschen hier in
Fünferreihen. Da wir ihre Sprache nicht sprachen, versuchten wir uns mit Händen
und Füßen auszudrücken. Leider ohne Erfolg. Ich denke sie meinten, wir wollten
uns in die erste Reihe fuschen. Bei der nächsten und übernächsten Kreuzung sah
es nicht anders aus. Der Zeiger rückte immer näher an die volle Stunde. Endlich
hatte die Prozession einen Bogen geschlagen und wir kamen nach links weiter.
Leider kannten wir uns hier nicht aus. Von weitem sahen wir vier Polizisten
stehen. Wenn sich jemand auskennt, dann sie. Leider verstanden sie kein Wort
Englisch und konnten uns nicht helfen. Langsam bekam ich Not. Viele Passanten
habe ich angesprochen und hatte zum Schluss Erfolg. Eine Mutter mit Kind erklärte
uns den Weg und wir waren überglücklich drei Minuten vor Zehn in der Albergue
zu sein. Der Tag war für uns sehr erlebnisreich gewesen. Es war bestimmt bis
jetzt unser schönster Tag auf dem Camino gewesen. Wir beide gingen übermüdet
ins Bett. Viele Pilger waren noch nicht zurück. Das könnte für die sehr böse
ausgehen, wenn die Haustüre verschlossen ist. Am nächsten Morgen erfuhren wir,
dass die Albergue zu Karfreitag bis tief in die Nacht geöffnet war, damit jeder
Pilger die Möglichkeit hatte, diesen Zug zu erleben. Bis um 23:30 hörte ich
noch die Stockschläge der Träger in der Nacht, dann war ich eingeschlafen.
Logroño — Ventosa
20,1 km, 360 m Aufstieg, 35 m
Abstieg
Samstag, den 23. April 2011
E s war eine
sehr ruhige Nacht gewesen und wir hatten wieder einmal viel zu lange
geschlafen. Als allerletzte kamen wir zum Frühstück und das war gut so. Sollen
alle anderen doch hetzen, manche bis zu 45 km am Tag. Wir machen da nicht mit.
Wir lassen uns zehn Wochen Zeit und werden jeden einzelnen Tag mit Freuden
genießen! Unser Frühstück war mehr als dürftig. Für jeden gab es anderthalb
Tassen Kaffee. Jede einzelne Scheibe Toastbrot musste man sich beim
Alberguemitarbeiter abholen. Es gab steinharte Butter und zwei verschiedene
Marmeladen in großen Gläsern, welche von außen total verschmiert waren. Es war
eine sehr klebrige Sache. Trotzdem sind wir beide immer noch rundum zufrieden.
Kurz nach acht verlassen wir die Albergue und durchwandern die Stadt. Sie
starrte nur so von Schmutz und tausenden Plastikflaschen vom vergangenen Abend.
Die Bürgersteige waren zum Teil in einem schlechten Zustand. Auf einem
Kirchplatz sahen wir ein riesengroßes Gänsespiel auf dem Boden eingelassen. Ein
in Spanien sehr populäres Kinderspiel, dessen Ursprung mit dem Jakobsweg in
Verbindung gebracht wird, ist es doch eben so mühsam das Ziel des Spielfelds zu
erreichen, wie nach Santiago zu pilgern. Menschen und Autos sahen man heute so
gut wie keine. Die Stadt liegt noch im tiefen Schlaf. Nur die Stadtreinigung
versucht dem Chaos Herr zu werden. Nach fünfzig Minuten haben wir sie endlich
durchschritten. Leider folgte nun ein langer Weg an einer Ausfallstraße vorbei,
bis wir den gepflasterten Spazierweg durch den Parque San Miguel erreichen. Es
war ein schöner Samstagmorgen und das Thermometer zeigte 9°C an. Wir hatten das
Naherholungsgebiet La Grajera erreicht. Ein weites Feuchtgebiet und das Pilgern
war ein Vergnügen. Vor uns ein großer See mit einem gepflegten Restaurant.
Welch ein Glück, wir bekamen
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