Wir beide nahmen die Muschel
mittlerweile wieder verwöhnte, weiter an meinem Buch. Zwei
ältere japanische Geschwister, welche wir in den letzten beiden Tagen häufiger
gesehen hatten, schliefen in unserem Schlafraum. Sie saßen an meinem
Nachbartisch, sie waren sehr höflich und bescheiden. Welch einen Weg haben sie
zurücklegen müssen um den Jakobsweg gehen zu können? Jetzt kann ich mir auch
vorstellen, wieso ihre Landsleute den Reaktorunfall so gelassen aufnehmen. Ein
Glück, dass nicht alle Menschen auf der Welt gleich sind. Nun werde ich mein
schreiben kurz unterbrechen und einmal nachschauen, was das Haus sonst noch zu
bieten hat, doch halt, da benötigt noch jemand meine Hilfe. Eine junge
Engländerin hat sich ein paar böse Blasen gelaufen. Kurz desinfiziert, die
Blasen mit einer großen Kanüle an zwei Seiten durchstochen und die Flüssigkeit
ausgedrückt, gute Pflaster hatte sie selber. Das ist der Camino. Jeder ist
bereit, dem anderen zu helfen. Auch unsere beiden älteren Geschwister waren in
unserer Herberge abgestiegen. Wir freuten uns, sie zu sehen und fragten wie die
beiden letzten Tage verlaufen waren. Auch sie hatten riesengroße Probleme mit
dem Schlammweg gehabt. »Ich hatte immer Angst wieder zu fallen«, sagte sie uns.
Am späten Nachmittag besichtigten wir die Kathedrale. Sie wurde 1158 erbaut und
ist ein schöner gotischer Bau auf romanischem Grund. Diese Kirche ist ein
Museum von Kunstwerken aller Stile und Epochen. Das Grabmal und die Krypta des
Heiligen und sogar der Hühnerstall sind ganz besondere Kunstwerke. Nun muss ich
aber auch etwas über den Hühnerstall in der Kirche berichten. Etwa im 14.
Jahrhundert waren der achtzehnjährige deutsche Pilger Hugonell und seine Eltern
auf dem Weg nach Compostela und machten hier Rast. Sie kamen aus Saintes,
welches zur Kölner Diözese gehörte. Als der junge Mann die Liebe der
Wirtstochter verschmähte, bezichtigte ihn die Beleidigte des Diebstahls. Der
junge Mann wurde verurteilt und endete am Galgen. Auf dem Rückweg fanden die
Eltern ihren Sohn am Ortseingang von Santo Domingo lebend am Galgen, auf den
Schultern des Hl. Santo Domingo stehend. Als sie dies dem Richter, welcher zu
Tische saß meldeten, erklärte dieser: Euer Sohn ist so tot wie der gebratene
Hahn und das Huhn, die er sich gerade anschickte zu essen. In diesem Moment
wuchsen dem Geflügel neue Federn und es begann zu krähen und zu gackern. Die
Richter des Ortes trugen lange Zeit als Mahnung einen Strick um den Hals,
welcher später durch ein bequemeres Band ersetzt wurde. Man sagt: Wenn ein
Pilger die Kathedrale betritt und der Hahn kräht, hätte er einen glücklichen
Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Bei unserem Eintritt krähte der Hahn
drei Mal, hoffentlich für uns beide ein gutes Zeichen. Manche Pilger bezahlen
mehrmals den Eintritt von 2,50 Euro, nur um den Hahn krähen zu hören. Im Hof
unserer Albergue Casa del Santo werden in Gehegen die weißen Hühner und Hähne
gehalten, die jeweils für drei Wochen »Dienst« im Käfig über dem Altar machen.
Sehr oft hörten wir an diesem Tag das Gackern und Krähen aus den Gehegen. Nach
einem guten Pilgermenü gingen wir um 20:15 Uhr zu Bett. Hoffentlich haben wir
eine ruhige Nacht. Buenas noches bis morgen.
Santo Domingo de la Calzada — Belorado
23,5 km, 270 m Aufstieg, 190 m
Abstieg
Dienstag, den 26. April 2011
N icht ganz
ausgeschlafen sind wir heute um 6:10 Uhr aufgestanden. Wie ich das hasse, den
Rucksack im Licht der Taschenlampe zu packen, wie leicht hat man da etwas
übersehen. Auch war es nicht immer einfach meine Mitpilgerin aus ihrem Traum
loszureißen. Um 6:30 Uhr habe ich einfach das große Licht angemacht und war
erstaunt, fast alle Pilger waren schon unterwegs. Ungern haben wir diese schöne
Pilgeralbergue verlassen. Wir erlauben wir uns zum Frühstück für 0,50 Euro
einen Becher Kaffee aus dem Automaten. Es war zwar nur ein winziger Becher,
aber der Inhalt war gut. Unsere Herberge hatte eine angenehme Atmosphäre aber
ein strenges Aufstehregime. Die letzten Liegenbleiber wurden um 7:15 Uhr deutlich
zum Aufstehen animiert. Am Ausgang hatte ich Schwierigkeiten, im Regal meine
Wanderschuhe zu finden. Alle sahen gleich total verdreckt aus. Erkannt habe ich
sie dann an meinen innen liegenden Einlagen. Es war eine Überwindung sie
anzuziehen. Auch meine schwarze Regenhose hatte eine interessante Farbe, oben
Schwarz, unten rot voll Ton. Um 7:45 Uhr starteten wir. Es war bewölkt, sah
aber nicht direkt nach Regen aus. Wie seit
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