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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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Wellen brachen sich an ihm, als wäre er eine gefährliche Klippe.
    Mitte Juli wurden zwei Kranflöße zum Stein befördert, und bereits um zwei Uhr nachmittags war er gehoben und schwamm zwischen den Flößen vertäut. An Bord befanden sich außer Albert und dem Vorsitzenden der Hafenkommission der Hafenmeister, ein Fischer und ein Takler, der auf einer der Werften der Stadt arbeitete. Am Strandufer hatte sich im weißen Sand ein Kreis von Damen mit belegten Broten und Erfrischungen versammelt, die den schwitzenden Männern auf den schaukelnden Flößen in einem Ruderboot gebracht wurden. Als die Flöße die Dampskibsbro erreichten und mit dem festgebundenen Stein in den Hafen einliefen, wurden in den Topps die Flaggen gehisst, und am Kai rief eine große Menschenmenge «Hurra!».
    Wir feierten uns selbst, uns selbst und unsere blühende Stadt.

     
    Zwei Tage später wurde der Stein an Land gebracht. Albert telefonierte mit Svendborg und bat um einen Tieflader zum weiteren Transport des Steins. Er traf am folgenden Tag mit der Fähre ein. Viele Menschen waren erschienen, und alle ließen sich freiwillig als Zugtiere einspannen. Der Werftbesitzer stand Seite an Seite mit dem Takler, der Matrose neben dem Reeder, der Kaufmann neben dem Kommis. Sogar der Filialleiter der Sparkasse stand wie ein gedemütigtes Maultier in der Reihe. Schulkinder rannten lärmend umher, bis auch sie ihren Platz fanden. Alte, längst pensionierte Skipper, die Pfeifen noch im Mund, hatten ihr Geplauder auf den Bänken am Hafen unterbrochen, um ebenfalls Hand anzulegen. Nur Josef Isager, der Kongo-Lotse, steckte demonstrativ seine Hände in die Hosentaschen und blickte skeptisch; er war über so etwas erhaben. Auch Lorentz begnügte sich damit zuzusehen, doch er war durch sein Alter und seinen feisten Leib entschuldigt. Anna Egidia Rasmussen, die Witwe des Marinemalers, wurde von dem Lärm angelockt, der bis zur ihr in die Teglgade gedrungen war, und schaute mit ihrem Enkelkind an der Hand zu. An der Seitenlinie des Zugs sprang Anders Nørre, der Dorftrottel, unglaublich aufgeregt hin und her. Mit einer Handbewegung scheuchte Albert ihn zurück in die Gruppe. Als man ihm das Tau über die Schulter legte, wurde er merkwürdig ruhig, ja geradezu selig in sich gekehrt – eine Gemütsverfassung, die er wohl mit dem Rest der Versammlung teilte.
    Dann packte Albert selbst ein Tauende und drehte sich mit erhobener Hand zu der Volksmenge um.
    «Und nun ziehen wir!», rief er und zerteilte mit einer Handbewegung die Luft.
    Das war das Startsignal. Albert legte sein ganzes Gewicht in das Seil. Er war achtundsechzig, doch sein Alter merkte man ihm nicht an. Es schien, als hätte sein kräftiger Körper das ganze Leben auf diesen Moment gewartet, und alles, was er bisher unternommen hatte, wären lediglich Vorbereitungen gewesen. Sein Gesicht glühte in der Sonne, und er verspürte ein Glücksgefühl, das direkt von seinem pulsierenden Blut und der Anspannung der Muskeln ausging.
    Der Tieflader setzte sich langsam rumpelnd in Bewegung. Meter für Meter ging es voran. Dann blieb er stecken, der Boden war zu weich. Die Räder versanken unter dem Gewicht des Steins im Schotter und ließen
sich nicht mehr bewegen. Sie waren wohl annähernd zweihundert Mann, aber ihre Beine arbeiteten vergeblich. Sie stemmten sich in die Taue, als wollten sie ausprobieren, ob ihr gemeinsames Gewicht das des Steins übertraf. Doch der Stein widerstand ihnen.
    Albert richtete sich auf und wandte sich an die Versammlung.
    «Kommt schon, Jungs!», rief er und ließ seine Hand noch einmal durch die Luft fahren. «Eins, zwei, drei – und ziehen!»
    Der Tieflader blieb stehen.
    Irgendwo in dem Menschenmeer begann ein Seemann einen Shanty zu brummen. Andere stimmten mit ein. Schließlich sangen sie alle, sich rhythmisch wiegend, das alte Lied der Arbeit, wie es jahrhundertelang auf See erklungen war. Es half nicht.
    Albert rief einen Jungen und bat ihn, zur Navigationsschule in der Tordenskjoldsgade zu laufen und die Schüler um Hilfe zu bitten. Der Junge rannte davon, und es dauerte nicht lange, bis sie die jungen Seeleute in einer geschlossenen Gruppe die Havnegade heraufmarschieren sahen, insgesamt dreißig Mann. Auch sie bekamen das Seil über die Schulter. Sie spannten die Muskeln ihrer Oberarme an und zeigten ihre Tätowierungen.
    «Das ist die Jugend und die Zukunft», dachte Albert, «jetzt muss der Stein nachgeben.»
    Der Tieflader setzte sich wieder in Bewegung, doch die

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