Wir Ertrunkenen
den sie bauen, aber auch ein Riff, an dem sie zerschellen konnte. Sie lernte, Abstand zu halten, und auf diesem Abstand beruhte ihr Verhältnis. Abstand war das Innerste seines Wesens.
Markussen war alt geworden. Die Gicht hatte ihn gebeugt, er schien nach unten zu wachsen. Er ging neben ihr, über seinen Stock gebückt und mit vorsichtigen Schritten, als bezweifelte er die Solidität der Erde unter seinen Füßen. Seine Hilflosigkeit rief ein Gefühl mütterlicher Fürsorge in ihr hervor, wie sie es lange nicht mehr empfunden hatte. Aber sie wusste, dass sie ihre Gefühle beherrschen musste. Nicht weil sie ihn kränken würde, wenn sie ihn an seine größer werdende Hinfälligkeit erinnerte, damit kokettierte er selbst. Er hatte die Fähigkeit der Mächtigen, die eigenen Schwächen zur Schau zu stellen. Es ging um Macht. Das erkannte sie deutlich. Er war umgeben von Menschen, die von ihm abhängig waren, und in deren Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft sah er nichts anderes als ein vernünftiges Eigeninteresse. Selbstverständlich wollten sie sich mit ihm gut stellen. Es kam ihnen ja nur selbst zugute.
Sie nahm ihn mit auf einen Spaziergang durch Marstal. Markussen hatte darauf bestanden. Sein Bild war nie in den Zeitungen gewesen, also gab es niemanden, der ihn kannte. Klara hatte eindeutig vornehmen Besuch, aber mehr wussten sie auch nicht.
Sie gingen an den unbebauten Grundstücken vorbei. Er sah die wild wuchernden Brennnesseln hinter dem geteerten Bretterzaun, und sie bemerkte, dass ihn der Anblick beschäftigte. Er schaute sie verstohlen an und lächelte. Dort hätte anstelle von Unkraut Geld wachsen können. Es war ihre Willenskraft, die er mit seinem Lächeln anerkannte.
«Was denken sie von dir?», wollte er wissen.
«Möglicherweise glauben sie, ich sei ein wenig sonderbar. Aber sie denken nicht schlecht über mich.»
«Das sollten sie aber.»
Er lachte verschwörerisch. Das war sein Bild von ihr. Die Zerstörerin. Die Rächerin. Eine strafende Furie, die es vorzog, im Verborgenen zu
wirken. Das faszinierte ihn, das war der Pakt, den sie miteinander eingegangen waren. Er stellte Klara all seine Erfahrung zur Verfügung und ließ sie das Gegenteil dessen tun, was er getan hätte. Er war ein Erbauer, während sie diejenige war, die zerstörte.
Was sie sonst noch wollte, verstand er nicht.
Sie bogen zum Hafen ab. Vertäut an schwarz geteerten Duckdalben lagen die wirklichen Monumente ihres Einsatzes. Dieser Anblick ließ ihn wiederholen, dass sie nun ihre große Chance hätte.
Dort lagen sie, mit gewaltigen schwarzen Rümpfen und langen, schlanken Schornsteinen, die ebenso hoch ragten wie die kleinen Masten, die sie nur der Lastbäume wegen brauchten. Zwei Drittel der gesamten Tonnage der Stadt, verteilt auf fünf Dampfschiffe: Enigheden, Energi, Fremtiden, Maalet und Dynamik. Der Rest waren kleinere Schiffe, die letzten drei, vier Neufundland-Schoner und einige umgebaute Segelschiffe mit eingebautem Motor, die nur im Küstenbereich eingesetzt wurden. Die Hoffnung auf Fortschritt, gestrandet an einer Klippe. Und diese Klippe war sie.
«Meine Dampfer bleiben, wo sie sind», sagte sie. «Ich lasse sie nicht wieder auslaufen.»
Markussen nickte. Klara Friis war eine gelehrige Schülerin. Nun setzte sie den Würgegriff um Marstal an. Eigentlich wäre es nötig gewesen, dass die Stadt sich nach der jahrelangen Krise erholte, die auf den Börsenkrach 1929 gefolgt war und einen Großteil der Handelsflotte zur Passivität verurteilt hatte.
Stattdessen sorgte sie dafür, dass nichts geschah.
Die außer Dienst gestellten Dampfer repräsentierten eine Zeit, die dank ihr unwiderruflich vorbei war.
Die Leute redeten darüber, das wusste sie genau. Aber sie hatte nicht gelogen, als sie sagte, dass sie nicht schlecht über sie redeten. Sie sahen auf die aufgelegten Dampfer im Hafen und dachten, es sei ein typischer Ausdruck ihrer weiblichen Unentschlossenheit und Unkenntnis, wenn es um die Angelegenheiten der Männer ging. Sie verziehen ihr und führten ihr unmögliches Geschlecht als Begründung an. Sie waren nachsichtig, beinahe herablassend, auch die Frauen. Klara Friis erntete keinen Dank für das, was sie für die Stadt tat, und doch genoss sie heimlich
den Triumph, das Richtige getan zu haben. Sie betrachtete sich selbst als einen Wellenbrecher, der das Land gegen die vernichtende Kraft des Meeres schützte.
Erst als sie am Abend bei einer Mahlzeit saßen, die die Haushälterin gerade
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