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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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aufgetragen hatte, kam Markussen mit einem Einwand, der sie einen Augenblick in ihren Plänen unsicher werden ließ.
    «Und wenn», sagte er und lächelte, als wollte er nur ihre Intelligenz auf die Probe stellen, «und wenn die Männer trotzdem zur See gehen? Es gibt inzwischen keine bedeutende Reederei mehr, die in Marstal ansässig ist, aber sie brauchen sich doch nur von einer der Reedereien außerhalb der Insel anmustern lassen. Sie werden kein Problem haben, eine Heuer zu finden. Die Marstaler verfügen über den besten Ruf. Sie haben ihre Tüchtigkeit doch jahrhundertelang bewiesen.»
    Sie hatten einen Moment den Eindruck, dass er klang wie Frederik Isaksen.
    «Das werden sie nicht tun», erwiderte sie scharf. «Auf der Navigationsschule gibt es jedes Jahr weniger Schüler hier aus der Stadt.»
    «Glückwunsch», sagte er und hob sein Glas, «dann hast du dein Ziel ja so gut wie erreicht.»
    Es ließ sich nicht vermeiden, dass sie den Sarkasmus in seiner Stimme hörte, dennoch prostete sie ihm über den Rand ihres Glases zu.
    «Du verstehst mich nicht», sagte sie.
    «Du hast recht. Ich verstehe dein Ziel nicht. Du scheinst etwas zu tun, aber gleichzeitig unternimmst du das genaue Gegenteil. Bibliothek, Kinderheim, Museum, Altersheim, du trittst als Wohltäterin der Stadt auf und gleichzeitig entziehst du ihr die Existenzgrundlage.»
    «Das Meer war niemals eine wirkliche Existenzgrundlage.»
    «Ich habe die größte Firma des Landes aufgebaut. Ich bin Schiffsreeder.»
    Beide schwiegen. Sie waren an dem Punkt angelangt, an den sie immer kamen.
    «Dein Sohn ist Seemann», sagte er plötzlich.
    Sie senkte den Blick.
    «Und sein Vater kam auf See um. Du brauchst mich nicht daran zu erinnern. Siehst du denn wirklich nicht, was ich will?»

    «Doch», sagte er, «du willst das Unmögliche. Du willst das Meer peitschen, bis es um Gnade fleht.»
     
    Es war das letzte Mal, dass sie sich sahen. Sie hatte es die ganze Zeit gewusst. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Klara hatte gelernt, was sie sollte. Er hatte ihr erzählt, was er wusste. Damit hatte er ein Monument für Cheng Sumei gebaut, und obwohl es für dieses Monument nur einen einzigen Ort gab, ihren Kopf, war er doch nicht mehr länger allein mit seiner Geschichte. Ihren Sinn zu verstehen, überließ er ihr. Er selbst tat es offensichtlich nicht.
     
    Klara Friis sah sich selbst an Cheng Sumeis Stelle. Wie sie war sie eine Betrügerin, die niemals mit offenen Karten spielte, aber beide hatten sie eine Entschuldigung. Cheng Sumeis Entschuldigung war die Liebe gewesen. Sie wollte für einen Mann unentbehrlich sein, der niemals das Gefühl gehabt hatte, einen anderen Menschen um seiner selbst willen zu brauchen. Um ihn herum hatte sie ein Imperium errichtet. Für ihr Herz hatte er keinen Bedarf, für ihren Schoß und ihre Lippen auch nicht. Doch ihr Geschäftstalent, die zynischen Methoden, die sie in einer Stadt ohne Gesetze gelernt hatte, konnte er nicht entbehren. Und so wurde das zum Geschenk ihrer Liebe.
    Auch Klara hatte eine Liebesgabe zu verschenken. Nicht an einen Mann, sondern an eine ganze Stadt. Sie wollte die Stadt vor dem Meer retten. Sie wollte der Stadt ihre Söhne zurückgeben, den Müttern ihre Jungen, den Frauen ihre Männer, den Kindern ihre Väter.
    O ja, sie wusste es genau. Die Sturmflutnacht würde nie vorbei sein. Wieder und wieder tauchte sie ihre Hand in die Wassermassen und suchte nach Karla. Jedes Mal, wenn sie ein Schiff verkaufte oder außer Dienst stellte, jedes Mal, wenn ein weiteres Schiff aus dem Register in Marstal gestrichen wurde, jedes Mal, wenn die Werft einen kleineren Auftrag von einem der Reeder der Stadt bekam, jedes Mal, wenn ein junger Mann seine Bestimmung an Land fand, jedes Mal, wenn die Zahl der Schüler aus Marstal an der Navigationsschule sank – war es, als ob ihre Hand tief im dunklen Wasser Karla ergriff und nach oben zog.
    Sie sah das Wasser fallen. Sie spürte, wie ihr innerer Druck für einen Augenblick nachließ. Sie träumte von einer Erde, auf der sich die Meere
zurückzogen und das Land auftauchte, um den Menschen ein Zuhause zu geben, in dem sie zusammen sein konnten – Vater, Mutter und Kinder für immer vereint.
     
    «Jetzt hast du deine große Chance», hatte Markussen zu ihr gesagt, als sie zum letzten Mal Abschied nahmen.
    Er hatte die Kriege in Spanien und Asien gemeint. In seinen Ohren waren es gute Neuigkeiten, wenn Tausende von Menschen sich umbrachten. Dann boomte der Frachtmarkt, und

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