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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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denn ich hatte meine Lektion gelernt. Ich hätte sagen können, Laurids wäre Hottentotte gewesen, er hätte feuerrote Haare gehabt, die nach allen Seiten abstanden, und drei statt zwei Beine. Sie hätten geantwortet, ach ja, an diesen Dänen könnten sie sich noch gut erinnern. Ich beließ es also bei dem Namen.
    Er blieb eine Weile stehen. «Wie war gleich der Name?», fragte er. «Und das Jahr?»
    «Fünfzig oder einundfünfzig», antwortete ich.
    «Einen Moment.»
    Er wies einen Kellner an, seinen Platz hinter der Bar zu übernehmen, und verschwand in einem Hinterzimmer. Dann kam er mit einem großen Buch unter dem Arm zurück.
    «Ich erinnere mich nie an ein Gesicht», sagte er, «aber ich erinnere mich an die Schulden.»
    Er legte das Buch auf den Tresen und begann darin zu blättern.
    «Hier», sagte er triumphierend und schob das Buch zu mir herüber. «Ich wusste es.»
    Er deutete auf einen Namen. «Laurids Madsen» stand da.

    Ich kann nicht sagen, dass ich die Unterschrift meines Vaters wiedererkannte. Als er verschwand, hatte ich noch nicht lesen gelernt, und er war niemand, der überall seinen Namen hinterließ.
    «Was ist er schuldig geblieben?», fragte ich.
    «Zwei Glas Bier», sagte Anthony Fox.
    Ich holte mein Geld heraus und bezahlte.
    «Nun sind wir quitt.»
    «Erzähl mir nicht, dass du um die halbe Welt gereist bist, nur um Madsens Schulden zu bezahlen?»
    Ich schüttelte den Kopf.
    «Er ist verschwunden. Ich suche ihn.»
    «Seemann oder Strafgefangener?»
    «Seemann.»
    «Dann ist er wahrscheinlich ertrunken, das ist bei Seeleuten so üblich. Oder durchgebrannt.»
    Er breitete die Arme mit einer vagen Bewegung aus, die sowohl den Stillen Ozean mit seinen Zehntausenden von Inseln umfassen konnte als auch den eisbedeckten Pol südlich von uns, auf den noch kein Mensch seinen Fuß gesetzt hat.
    «Es ist eine große Welt. Du findest ihn nie.»
    «Ich habe seine Schulden gefunden», erwiderte ich.
    «Es ist nicht immer so, dass diejenigen, die verschwinden, auch wiedergefunden werden wollen. Ein Seemann, wo gehört der hin? An Deck? Oder zur Frau Gemahlin und den Kindern? Es kommt vor, dass ihn etwas durcheinanderbringt. Dann fängt er an zu leben, als wäre sein Leben ein Garn, das sich wieder und wieder spinnen lässt. Er ertrinkt zehnmal und taucht zehnmal wieder auf, jedes Mal in den Armen einer neuen Frau. Zu Hause trauern die Hinterbliebenen. Aber er sitzt auf einem anderen Kontinent an der Wiege und lacht, bis er auch diese Familie leid ist. Glaub mir. Ich hab’s schon erlebt.»
    «Ich wusste nicht, dass in Hobart Town Weise hinter der Theke stehen.»
    Er sah mich grinsend an.
    «Du bist der Sohn. Hab ich recht?»
    «Ich dachte, du erinnerst dich nie an ein Gesicht. Sehe ich Laurids Madsen ähnlich?»

    «Keine Ahnung. Ich erinnere mich nicht an ihn. Aber ich erkenne einen beleidigten Mann, wenn ich ihn sehe. Nur ein Sohn schneidet so ein Gesicht, wenn sein Vater des Betrugs bezichtigt wird.»
    Ich drehte mich um und wollte gehen.
    «Warte», sagte Anthony Fox, «du bekommst von mir einen Namen.»
    «Einen Namen?»
    Ich blieb in der Tür stehen.
    «Ja, einen Namen. Jack Lewis. Merk dir den Namen.»
    «Und wer ist Jack Lewis?»
    «Der Mann, mit dem dein Vater ein Bier trank.»
    «Und an den Mann erinnerst du dich noch nach zehn Jahren. Er schuldet dir wohl auch noch ein Bier?»
    «Er schuldet mir sehr viel mehr als nur ein Bier. Find ihn für mich, und erinnere ihn an seine Schulden.»
    Ich ging zurück zum Tresen. Mein Ginglas war erst halb leer und wartete noch auf mich. Fox hatte es nicht weggenommen. Er war sich sicher gewesen, dass er mich zurücklocken würde.
    Es war noch früh am Tag, und ich war der einzige Gast im «Hope and Anchor».
    «Etwas zu essen?», fragte er.
    «Wenn es kein Lamm ist.»
    Ich konnte kein Lammfleisch mehr sehen, das einzige Gericht, das sie in Hobart Town kannten.
    «Ich habe Wolfsbarsch.»
    Wir setzten uns an einen Tisch.
    «Es gibt hier eine Menge Platz», sagte er. «Australien ist größer als Europa und wartet noch immer auf seine Einwohner. Und der Pazifik bedeckt die Hälfte des Globus, ich nenne es gewöhnlich das Vaterland der Heimatlosen.»
    «Warst du mal Seemann?»
    «Ich bin schon alles gewesen, Bauer, Zimmermann, Seemann, Sträfling. Letzteres ist auch ein Beruf. In den Pazifik kommen nur zwei Sorten von Männern: Die einen wollen im Schatten einer Kokospalme liegen und haben keine Lust zu arbeiten, und die anderen folgen dem Strom des

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