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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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jetzt einen Arzt anrufen.«
    »Und die Polizei«, sagte Malcolm, um Alberich Angst einzujagen. »Schließlich sind Sie hier eingebrochen.«
    »Das trauen Sie sich ja doch nicht«, entgegnete Alberich, aber wie Malcolm sehen konnte, machte sich sein Widersacher allmählich ernste Sorgen. Und nicht nur das war bemerkenswert. Noch vor wenigen Minuten war er selbst wie gelähmt vor Angst gewesen, doch jetzt empfand er die ganze Situation zumindest ansatzweise eher komisch. Trotzdem schien es nicht zu schaden, einen Arzt rufen, und er begab sich zum Telefon, das neben dem Bett stand.
    »Nicht diese Sorte Arzt!« protestierte Alberich gereizt. »Was glauben Sie eigentlich, was ich bin? Etwa ein Mensch?«
    »Was für einen Arzt wollen Sie denn?«
    »Einen richtigen Arzt. Einen Nibelung.«
    »Schön. Und was schlagen Sie vor, wo ich nach einem solchen Arzt suchen soll? In den Gelben Seiten vielleicht?«
    »Jetzt seien Sie nicht albern. Nehmen Sie einfach den Ring.«
    »Geht denn das?« fragte Malcolm überrascht.
    »Natürlich geht das. Reiben Sie sich einfach mit dem Ring über die Nase, und bitten Sie um einen Arzt.«
    Malcolm kam sich zwar ziemlich dämlich vor, aber er tat, was Alberich ihm gesagt hatte. Sofort materialisierte neben ihm ein stämmiger kleiner Mann mit sehr heller Haut, der etwas Sackähnliches bei sich trug.
    »Sie haben gerufen?« fragte der nibelungische Arzt.
    »Woher sind Sie denn gekommen?« wollte Malcolm wissen.
    »Aus Nibelheim natürlich, woher denn sonst? Also, wo ist der Patient?«
    Der Arzt hantierte an Alberichs Bein mit einer Art Schraubenschlüssel herum und rieb es anschließend mit Salbe ein. Dann verschwand er ebenso plötzlich, wie er gekommen war.
    »Das ist ja praktisch!« staunte Malcolm. »Kann ich mir auch einen Nibelungen kommen lassen, wenn ich möchte?«
    »Natürlich. Warum Sie sich das wünschen sollten, ist allerdings ein anderes Thema. Im großen und ganzen sind das nämlich unglaublich langweilige Leute.«
    Malcolm zuckte die Achseln. »Egal. Wie geht’s Ihrem Bein?«
    »Es schmerzt zwar noch stark, aber immerhin ist es jetzt geheilt.«
    »Geheilt? Aber Sie haben mir doch gesagt, es sei gebrochen.«
    »Das war’s auch«, antwortete Alberich. »Und jetzt ist es nicht mehr gebrochen. Dafür war ja schließlich der Arzt da. Natürlich wird es etwa noch einen Tag lang steif sein, aber dagegen kann man nichts machen. Wenn man Leute verprügelt, muß man eben damit rechnen, daß man sie unnötig quält und ihnen Schmerzen zufügt.«
    Malcolm gähnte. »In dem Fall sollten Sie jetzt lieber gehen und mich endlich in Frieden lassen. Und wehe, ich erwische Sie hier noch mal, dann gibt’s Ärger!«
    Dieser Wagemut überzeugte niemanden, und Alberich machte keinerlei Anstalten, den Raum zu verlassen. Statt dessen setzte er sich auf den Fußboden und rieb sich das Knie, bis Malcolm nichts Besseres einfiel, als ihm einen Drink anzubieten.
    »Ich hatte schon befürchtet, Sie würden mich nie mehr danach fragen. Ich möchte gern einen doppelten Schnaps.«
    »Ich glaube nicht, daß ich so was im Haus habe.«
    »Das sollten Sie aber, immerhin geben Sie sich als Deutscher aus. Dann nehme ich das, was Sie haben, solange es kein Sherry ist. Ich mag keinen Sherry.«
    So kam es, daß sich Malcolm um drei Uhr morgens mit dem Herrscher der Nibelungen eine Flasche Gin teilte. Freiwillig hätte er so etwas nie getan, erst recht nicht nach einem solch anstrengenden Tag, aber allein die Tatsache, daß er sich dazu in der Lage sah, war für ihn bereits bemerkenswert. Alberich unternahm auch keinen weiteren Versuch, ihm den Ring abzuschwatzen, und erwähnte das Thema nicht einmal ansatzweise. Statt dessen redete er fast die ganze Zeit von seiner Gesundheit oder, um genauer zu sein, von seiner Verdauung.
    »Von Hummer kriege ich immer entsetzliches Sodbrennen«, merkte er mehr als einmal an. »Und bei Stachelbeeren …«
    Kurz gesagt, es gab nichts mehr von Alberich zu befürchten, und Malcolm tat der Nibelung allmählich richtig leid, zumal er, zumindest nach seinen eigenen Angaben, eine furchtbare Zeit hinter sich gehabt haben mußte.
    »Ich wollte ja gar nicht das Gold, sondern mich nur an diesen drei Frauen rächen.«
    »Welchen Frauen?«
    »Den Rheintöchtern. Aber ich will Sie nicht mit Einzelheiten langweilen. Keine schöne Geschichte.« Alberich schenkte sich etwas Gin nach. »Jedenfalls spazierte ich damals an einem herrlichen Sommerabend am Rhein entlang, und da waren plötzlich diese drei

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