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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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er.
    »Ja, danke.« Sie lächelte erneut, diesmal eine Variante à la ›Weißt du, so können wir nicht weitermachen‹.
    »Ehm, seit wann katalogisieren Sie denn schon?«
    »Seit ungefähr zwei Jahren«, antwortete Linda, womit dieser spezielle Themenkomplex offenbar abgehakt war.
    »Ich nehme an, das Katalogisieren ist so ähnlich wie die Tätigkeit als Bibliothekarin«, fuhr Malcolm fort. Langsam glaubte er, eine Arbeit als Torfstecher wäre einfacher als unter diesen Umständen ein Gespräch zu führen.
    Jedenfalls stimmte Linda seiner Vermutung zu, daß ihre hiesige Aufgabe tatsächlich ähnlich der einer Bibliothekarin sei, und fragte dann: »Wie lange wohnen Sie eigentlich schon in diesem Haus?«
    Malcolm stellte fest, daß er sich auf Anhieb gar nicht mehr daran erinnerte, und mußte erst scharf nachdenken, bevor er antwortete. Danach trat wieder ein langes Schweigen ein, das Linda dazu nutzte, ein Viertel ihres kleinen Sherrys zu trinken. Die Versuchung, ihre Gedanken zu lesen, war zwar sehr groß, aber Malcolm setzte sich erfolgreich zur Wehr; es wäre einfach nicht fair gewesen.
    »Ehm, wie gehen Sie denn ans Katalogisieren einer Bibliothek heran?« erkundigte er sich mit vorgetäuschter Neugier, und Linda erklärte ihm die Vorgehensweise. Das nahm mindestens drei Minuten in Anspruch, in denen Malcolm seine dürftigen Gedankenreste ordnen konnte. Unter Aufbietung aller Kräfte der Phantasie stellte er eine Liste von Fragen und Themen zusammen, die ihnen mit einer gehörigen Portion Glück bis nach dem Abendessen Gesprächsstoff liefern könnte.
    Letztendlich reichte der Themenkatalog wirklich beinahe aus, obwohl Malcolm auch so noch eine ganze Menge Einfallsreichtum beweisen mußte. Warum fiel es ihm bloß so leicht, sich mit Floßhilde zu unterhalten, die ja nichts weiter als eine gute Freundin war, und demgegenüber so schwer, ein Gespräch mit der herrlichsten Frau der Welt zu führen? Schließlich gab es nur ein einziges Thema, das er nicht anschneiden konnte. Andererseits war gerade das der Punkt, den er gern mit Linda erörtert hätte. Doch statt dessen sprachen sie hauptsächlich über Bibliotheken, einen Bereich, dem Malcolm bisher nie viel Beachtung geschenkt hatte. Gegen halb zehn blieb selbst dieses Thema im Schweigen stecken, und Malcolm fand sich mit einer weiteren Enttäuschung ab. Linda war ganz eindeutig nervös und befangen. Kein Wunder! Schließlich war sie hergekommen, um eine klar umrissene Arbeit zu verrichten, eine Tätigkeit, zu der sie ausgebildet worden war und in der sie zweifellos große Fachkenntnis besaß. Aber statt in ein komfortables Hotel gehen zu dürfen, wo sie die Schuhe ausziehen und ein gutes Buch lesen könnte, war sie gezwungen, seinem hirnverbrannten Geschwafel zuzuhören. Sie mußte ihn schlichtweg für verrückt halten. Morgen früh wäre sie bestimmt schon längst über alle Berge. Beim ersten Sonnenstrahl würde sie ihre Zimmertür aufschließen und die Beine in die Hand nehmen oder sich an zusammengeknoteten Bettlaken aus dem Fenster abseilen. Die ganze Geschichte war unerträglich traurig. Als Mensch war er die absolute Doppelnull. Er hatte den Fehler begangen, eine normale erwachsene Frau aus dem zwanzigsten Jahrhundert zu behandeln, als wäre sie irgendeine Romanfigur, die aus einer romantischen Erzählung entsprungen war. Dafür verdiente er den ganzen Kummer, den er ganz sicher demnächst durchmachen würde.
    »Ich nehme an, Sie sind nach der Reise und dem anstrengenden Arbeitstag ziemlich müde«, sagte er plötzlich. »Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.«
    Schweigend gingen sie die Treppe hinauf. Draußen war es zwar immer noch hell, aber Linda konnte ja ein Buch oder irgend etwas anderes lesen, bis es Zeit zum Schlafen war. Wenigstens schickte er sie nicht ohne Abendbrot ins Bett.
    »Dann gute Nacht«, wünschte er zum Abschied, und Linda lächelte ihn zum letztenmal an diesem Tag an. Es war ein Lächeln, das man hätte fotografieren können und das unzweifelhaft bedeutete: ›Ich mag dich sehr gern, obwohl es schade ist, daß du mich für stinklangweilig hältst, aber so ist das nun mal.‹ Die Tür schloß sich vor den Glutstrahlen, die von diesem Lächeln ausgingen, und Malcolm stand im Korridor und blinzelte mit den Augen. Zum Kuckuck mit der Fairneß! Er ortete Lindas Gedanken und las sie. Dann las er sie von neuem, nur um ganz sicherzugehen. Und weil sie ihm so gut gefielen, las er sie gleich noch ein drittes Mal.
    »Donnerwetter!« murmelte er langsam

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