Wir haben Sie irgendwie größer erwartet
erforderlich, daß Sie Ihre Absicht aufgeben, meiner Tochter den Ring auszuhändigen. Sie müssen Ihre persönlichen Gefühle ganz beiseite stellen.«
»Ach, Sie können mich mal!« herrschte Malcolm die Mutter Erde an. So sprach man zwar eigentlich nicht mit einer Göttin, aber ihm war inzwischen alles egal.
»Sollte Ihnen das nicht gelingen, muß ich Sie leider davon in Kenntnis setzen, daß Sie für zukünftige weltweite Verheerungen allein verantwortlich sind. Wenn mein Exmann die Herrschaft über den Ring wieder übernehmen sollte, hätte das für die Zukunft der Menschheit im positivsten Fall äußerst unangenehme, höchstwahrscheinlich aber sogar verhängnisvolle Folgen. Und Sie fänden zweifelsohne nicht das Glück, das Sie irrigerweise in einer Beziehung mit meiner Tochter zu finden glauben. Außerdem würden Sie zusammen mit dem Rest der Menschheit in alle möglichen armageddonartigen Szenarien hineingezogen werden, die sich als Folge von Wotans Herrschaft über den Ring ergäben. Kurz gesagt …«
»Falsch!« unterbrach Malcolm sie. »In jeder Hinsicht falsch.«
»Wie bitte?«
»Sie irren sich, wenn Sie glauben, Ortlinde würde den Ring ihrem Vater geben. Das tut sie nicht. In einer Million Jahren nicht. Sehen Sie, schließlich ist der Ring ein Geschenk von mir, und zwar das wertvollste Geschenk, das ich ihr überhaupt machen kann. Sie würde es niemals Wotan oder irgendwem sonst geben. Sie liebt mich nämlich. Wahrscheinlich gibt sie ihn mir sogar sofort zurück«, faselte Malcolm verträumt, »und dann ist alles wieder in bester Ordnung.«
»Leider muß ich feststellen, daß ich mit Ihnen nur meine Zeit vergeudet habe, Mister Fisher«, erwiderte Erda und erhob sich. »Sie haben nicht einmal die Bedeutung auch nur eines einzigen meiner Worte erfaßt. Ich kann Sie nur inständig bitten, Ihre Entscheidung noch einmal mit größter Entschlossenheit zu überdenken.«
»Übrigens – was machen Sie eigentlich so?« fragte Malcolm. »Was ist Ihre Aufgabe?«
»Hauptsächlich schlafe ich«, antwortete Erda. »Mein Schlafen ist Träumen, mein Träumen ist Denken, mein Denken ist Verstehen. Folglich habe ich normalerweise eine beratende Funktion, keine vollziehende. Ich greife lediglich in außergewöhnlichen Situationen aktiv in den täglichen Lauf der Welt ein.«
»Ja, aber was machen Sie denn nun wirklich?«
»Ich berate«, entgegnete Erda.
»So, wie die Vereinten Nationen, meinen Sie?«
»Ich glaube, da besteht eine gewisse Ähnlichkeit.«
»Trotzdem sind Sie gefeuert. Und jetzt verschwinden Sie aus meinem Haus.«
»Mister Fisher«, erwiderte Erda gefaßt, wobei sie sich wieder hinsetzte. »Bevor ich gehe und mit Ortlinde vernünftig zu reden versuche – für den unwahrscheinlichen Fall, daß sie auf die Stimme der Vernunft hört –, lassen Sie mich Ihnen noch die Natur dessen erklären, was man allgemein Liebe nennt. Liebe ist nichts weiter als ein rein zweckdienliches Gefüge in der menschlichen Funktionsmatrix. Bei den niederen Tieren ist der Fortpflanzungstrieb ausschließlich Instinkt. Die Gattung der Menschen hingegen, die ja mit Vernunft begabt ist, bedarf zur Fortpflanzung einer nachdrücklichen Anregung. Deshalb ist sie darauf programmiert worden, den Fortpflanzungstrieb auf ganz einzigartige Weise zu verarbeiten.«
»Nur mal interessehalber: Haben Sie den Menschen entworfen?« fragte Malcolm.
»Das ist richtig. Wie ich schon gesagt habe …«
»Also, für die Augen und Ohren bekommen Sie von mir die Traumnote Zehn«, gab Malcolm seine ganz persönliche Wertung ab. »Aber die Füße und das Abfallbeseitigungssystem sind nicht so toll. Die habe ich schon immer für richtige Montagsprodukte gehalten.«
»Sie denken an die Hardware, Mister Fisher, die ein Ergebnis des Evolutionsprozesses ist und für die ich weder Lob noch Tadel in Anspruch nehme. Meine Arbeit hat sich ausschließlich auf die Software bezogen, die Sie als Gefühle und Empfindungen bezeichnen würden. Wie ich schon gesagt habe, braucht die menschliche Gattung für jede Handlung einen Grund, den sie innerhalb ihrer eigenen Aufgabenbereiche nachvollziehen kann. Liebe, Gemeinschaft, Mitgefühl, Zuneigung und Verständnis sind schlicht und ergreifend die Belohnungen, die der Mensch erhalten muß, wenn er zu Handlungen motiviert werden soll, die Lebewesen seines Intelligenz- und Entwicklungsgrads normalerweise als unter ihrer Würde betrachten würden. Dabei gibt es soviel Besseres, was die Menschheit tun könnte. Wie lange
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