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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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sechzehnjährige Bengel viele, viele Stunden vor ihnen zu stehen. Und sie quälten ihn und stachelten ihn |255| von allen Seiten, um seine störrische Zunge gefügiger zu machen. Sein Vater war kein Graf, sondern nur ein Bauer, der nicht mehr für ihn tun konnte, als mal halblaut und verstohlen zu sagen: Es geht alles vorbei, Hannes.
    Aber das verstand der Vater nicht, daß das Schlimmste von allem war: die Christiane war fort. Ohne ein Wort. Und es kam auch keines.
    Und wie die Herren nun wieder abgereist waren, nachdem sie seinem Vater sehr deutlich gemacht hatten, wie gnädig sie mit seinem Sohn verfahren waren, und das beste würde sein, der Bengel ließe sich ein paar Jahre auf der Insel nicht mehr sehen, und wie Johannes einsam auf seinem Koffer saß und in die Stadt fahren sollte, da hatte er allen Grund und Ursache, einmal an seinen Bruder Alwert zu denken, und wie komisch es im Leben eigentlich zuging. Denn eigentlich hatte er genau dasselbe erlebt wie sein Bruder Alwert, und genau dasselbe war ihm zugestoßen, was auch seinem Bruder Alwert zugestoßen war. Wie der, reiste er nun in die fremde, weite Welt, wie der hatte er seine verzauberte Prinzessin gehabt, und wie der konnte er sagen: Oh, meine Blanka!
    Und vielleicht tat er das auch wirklich.

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    |256| DRITTER ABSCHNITT
Wanderjahre des Helden
    Die nächsten drei Jahre, die Jahre 1910, 1911 und 1912, verbrachte Johannes Gäntschow in der kleinen pommerschen Universitätsstadt Greifswald, die nicht weit von der See abliegt. Johannes Gäntschow ging da aber nicht etwa auf die Universität, einmal, weil er dafür noch zu jung war, zum andern aber wollte er auch gar nicht studieren.
    Sondern Johannes arbeitete als Lehrling für Maschinenschlosserei in dem großen Eisenbahnausbesserungswerk. Nach den toten Lernjahren bei Superintendent Marder tat er jetzt etwas Sichtbares. Er schmiedete, er feilte, er stand an der Drehbank, die Stähle schnurrten und nahmen sacht Span auf Span ab, und dann war eine Achse fertig, auf einen Zehntelmillimeter genau, das sah man, man konnte sie in die Hand nehmen, ein Fortschritt gegen die Integralrechnung und den zweiten Aorist war es jedenfalls. Zudem waren dies die Jahre, in denen er ungeheuerlich wuchs. Er schoß in die Länge, ein Meter siebzig, achtzig, fünfundachtzig – ein Ende dieser Wachserei war nicht abzusehen. Er wollte ja wohl noch länger werden als Vater und Großvater? Selbstverständlich, das wurde er. Bei einem Meter siebenundachtzig hielt er an. Übermäßig breit wurde er trotz aller Freßpakete von Haus nicht. Aber seine Schultern waren immerhin ganz stattlich, und was die Kraft seiner Arme anlangte: die Arbeiter wußten ganz gut, warum sie sich den siebzehnjährigen Bengel immer wieder an den Amboß holten. Da stand er, nackter Oberkörper, die Muskeln in den Armen kamen und gingen, dreißigpfündiger Hammer, vierzigpfündiger Hammer, Schlag um Schlag, eine Stunde, zwei Stunden, fünf Stunden. Richtig, die Arbeiter hatten es gerochen. Der war |257| anders wie die sonstigen Bauerntöffel vom Lande. Nicht nur die scharfen, starken, blauen Augen, die nie verlegen waren, nein, es war sonst noch etwas, und anders wie die Arbeiter war er übrigens auch.
    Mußte man es ihm nicht erst einmal zeigen, daß er ein Garnichts war, eine Laus, die man zerquetschen konnte, die froh sein durfte, wenn man ihr das Leben ließ? Ran an den Amboß, mein Junge. Johannes heißt du? Du bist doch nicht etwa fromm? Hier heißt du Hans. Ja, guck dir nur das Hämmern an. Aber so hast du überhaupt nicht zu gucken. Das ist schon eine Frechheit gegen einen alten, gelernten Arbeiter, so zu gucken. Faß ihn man an. Er beißt dich nicht. Aber bald wird es dich beißen. In zehn Minuten liegst du wie ein Wisch nasse Lumpen im Winkel und wünschst dir, deine Mutter hätte dich nie geboren …
    Kling, Klang, Gloria – und noch einmal: Kling, Klang, Gloria. Nun, es geht ja. Das ist gar nicht so übel, mein Junge. Du wirst schon sehen, wie das tut. Der Schweiß läuft dir runter. Nun, was den angeht, so stimmt alles: uns läuft auch der Schweiß runter. Uns geht es da nicht anders. Kling, Klang, Gloria. Recht so, gar nicht so übel. Für einen verdammten Lehrling wirklich gar nicht so übel. Du möchtest vielleicht eine Pause machen? Es ließe sich darüber reden. Nein, du möchtest noch nicht? Auch gut. Wir halten es schon aus. Von den nassen Lumpen sprechen wir jetzt nicht mehr. Aber heute abend, sagen wir dir, im Bett –!

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