Wir hatten mal ein Kind
sagte sie ausweichend.
Ich auch, ich auch, sagte er mit einem Blick auf die Uhr. Donnerwetter, ich muß ja zum Futterausgeben! Da, Fräulein, trinken Sie meinen Kaffee, er ist viel zu heiß.
Und sie stand da, die Tasse in der Hand, sah ihn mit seinen unendlich langen Beinen stolperig aus dem Schulzimmer verschwinden und wußte nicht, ob sie weinen oder lachen sollte über dieses Untier.
Dieses Gefühl hatte sie noch öfter in den nächsten Wochen und Monaten, sooft er kam – und er kam für die losen Mäuler im Dorf sehr oft –, nie wußte sie, wie er es eigentlich mit ihr meinte, ob er wirklich so war, wie er mit ihr tat, oder ob er sie nur veralberte, ob er sich bloß langweilte oder ob er es ernst mit ihr meinte – nichts.
Manchmal sah sie ihn zufällig am Schulhaus vorübergehen, dann fiel ihr immer auf, was für ein ernstes Gesicht er eigentlich hatte. Aber dieses Gesicht hatte er bei ihr nie, und manchmal ärgerte sie das oder betrübte sie auch, je nach der Stimmung, in der sie grade war. – Können Sie denn nie ernst sein, Herr Gäntschow? fragte sie ihn tadelnd.
|330| Ernst?! Jawohl, bitte, gerne. Ist es so recht? Und er saß ihr gegenüber, das ganze Gesicht in ein wahres Gewirr gallenbitterer Falten gezogen – er sah plötzlich aus, als sei er eine uralte, böse Bauernfrau.
Nein, sagte sie, Sie müssen wirklich ernst sein, Herr Gäntschow. Ich habe etwas sehr Ernstes mit Ihnen zu besprechen. Diese Besuche hier im Schulhaus bei mir gehen nicht mehr. Die Leute zerreißen sich die Mäuler.
Sagen Sie, erklärte er rasch, wer sich zerreißt. Ich werde ihm das Maul schon wieder nähen. Muß ich nicht die Dachdeckerarbeiten kontrollieren?
Herr Gäntschow, sagte sie vorwurfsvoll, die Dachdeckerarbeiten sind seit drei Wochen erledigt.
Richtig, sagte er bewundernd. Sie beobachten so scharf, Fräulein Schütt! Aber muß ich nicht kontrollieren, ob das neue Dach nun auch dicht hält?
Es geht wirklich nicht, Herr Gäntschow, sagte sie ehrlich betrübt. Der Schulvorstand macht auch schon Andeutungen.
Wer ist der Schulvorstand? rief er. Ich werde ihm Schule beibringen! Darf ich nicht was für meine Bildung tun? Wer ist der Schulvorstand?
Sie werden doch keine Dummheiten machen, Herr Gäntschow, sagte sie warnend, Sie sollen weniger kommen, das ist es, worum ich Sie bitte.
Nun, ich werde schon herausbekommen, wer der Schulvorstand ist! Wollen Sie eigentlich, daß ich weniger komme? Ja, sagte sie mutig.
Keine Ahnung, sagt er. Ihnen macht es genauso viel Spaß wie mir. Holla, der Gemeindevorsteher muß wissen, wer der Schulvorstand ist. Guten Abend, Fräulein Schütt.
Er ging schon. Sie rief ihm, böser Ahnungen voll, nach: Herr Gäntschow, Herr Gäntschow! Dann lief sie ihm nach. Kaum merkte er es, fing auch er an zu laufen. Grade schnell genug, um immer zehn Schritte voraus zu bleiben, wobei er sie durch Gebärden ermunterte, doch schneller zu laufen. |331| Und da es noch hell war, und da sie dem Dorf doch unmöglich den Anblick einer Lehrerin bieten konnte, die hellerlichten Tages einem Mann nachlief, so mußte sie in ihr Schulhaus zurückgehen, ziemlich wütend.
Am Abend kam der Bauer Giermann zu ihr. Bauer Giermann, ein struppiger, schmuddliger Kerl, war einer der kleinsten Besitzer im Dorf. Weil er aber viel und aufgeregt reden konnte, war er sowohl in den Schul- wie in den Gemeindevorstand gekommen. Er war solch ein Mann, vor dem sich Elise Schütt direkt graulte, denn er machte ihr bei jeder Gelegenheit Vorwürfe, daß sie den Kindern unnötig Zeug in den Kopf setzte, »Grappen und Flöh’«, wie er sagte. Sie sollte keine Geschichten erzählen, sie sollte nicht zeichnen lassen: Katekismus und Kopfrechnen, Frollein, das ist es! Schon das Schreiben ist von Überfluß, ein Bauer soll gar nicht schreiben, das macht nur Kummer – bauern, bauern soll ein Bauer.
Er hatte tief herabhängende, buschige Brauen, die ihm bis vor die Augen hingen. Unter denen hervor blinzelte er sie mit seinen kleinen, geröteten Augen stur an, stur wir ein Bulle, der stoßen will.
Das tat er auch jetzt, als er sich ohne Anklopfen in ihr Zimmer schob: ’n Abend, Frollein. Na, auch schön fleißig?
Sie hatte über den Diktatheften gesessen und war über die Fehler (und über Gäntschow) verzweifelt gewesen. Nun stand sie auf, gab ihrem Besucher die Hand und sagte: Guten Abend, Herr Giermann. Bitte, nehmen Sie doch Platz.
Er setzte sich umständlich. Er schielte argwöhnisch nach den Heften. Was machen Sie denn da,
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