Wir hatten mal ein Kind
hochgezogene Schultern, Schluchzen.
Fräulein Schütt, beschwor er sie. Weinen Sie doch nicht so! Ich kann das beim besten Willen nicht anhören. Ich muß rausgehen, wenn ich das höre.
Keine besondere Wirkung, vielleicht, daß das Schluchzen eine Spur leiser wurde.
Fräulein Schütt, sagte er, bitte, hören Sie einen Augenblick auf und zu. Ich bitte Sie um Ihre Hand.
Er stand da und wartete, horchte. Nichts. Keine Antwort. O Gott, was soll ich denn noch tun?! Ich kann dies verdammte Heulen nicht mehr ertragen. Hören Sie, bat er, ich radle sofort in die Stadt und laß uns ins Blatt setzen.
Unterstehen Sie sich, rief sie flammend und sprang auf. Ich denke gar nicht daran, ich bin nicht mit Ihnen verlobt.
Er starrte sie an wie vom Donner gerührt.
Oh, du Trottel, rief sie plötzlich und weinte nun wirklich klare, selige Tränen aus ihren schönen Augen: Willst du nicht wenigstens du sagen und mir einen Kuß geben, wenn du dich mit mir verlobst?!
Das ist wirklich überraschend, sagte er verblüfft und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. Sie meinen es ernstlich? Natürlich meine ich es ernstlich, du dummer Junge, rief sie. Und du meinst es auch ernstlich, du weißt es bloß nicht. Wirklich? fragte er erstaunt. Man hat doch wahr und wahrhaftig von nichts eine Ahnung. Also, denn komm her und gib mir einen Kuß.
Er breitete übertrieben seine Arme aus, in die sie mit einem |335| spitzbübischen, vergnügten Lächeln, die Lippen erwartungsvoll vorgewölbt, sank. Sie reichte ihm nur bis zum Schlips. Schade, sprach eine trauervolle Stimme in ihm.
Dann gab er ihr ihren Kuß.
O Gott, sagte er unwillkürlich. Das ist aber schön! Bitte noch einmal, Elise.
So hatte es angefangen, und so ging es weiter. Hineingetapert in die entscheidendsten Dinge wie ein Paar junger Hunde, vor Vergnügen wedelnd, ohne Ernst, ja nicht einmal mit Wahrhaftigkeit. Denn was war mit ihm los? Fühlte er sich verlobt, mit dem Endziel einer Heirat, einer richtigen, bürgerlichen Ehe mit Kindern und Auskommen – oder fühlte er sich nicht verlobt? Sie kam nie dahinter. In sechs Jahren Verlobungszeit kam sie nicht dahinter. Gewiß, goldene Ringe wurden beschafft. Dafür sorgte schließlich die Gemeinde Klein-Kirschbaum. Sicher, die elterliche Verwandtschaft wurde benachrichtigt. Das brachte der Herr Schulrat fertig, der so etwas wie ihr väterlicher Freund wurde. Aber was sollte das heißen bei einem jungen Menschen, der dasitzen und an eben diesem Goldring drehen und angesichts seiner Verlobten murmeln konnte: Du glaubst es nicht. Du glaubst es nicht. Dies Leben ist eine unübersichtliche Geschichte.
Daß viele Menschen schlappe und verantwortungslose Gesellen waren, das mochte sein. Aber daß Frau dreifache Hausbesitzer Schütt eine energische, zielbewußte Dame war, »tüchtiger Besen« nannte so was Gäntschow, soviel war sicher. Und was erreichte diese erfolgsbewußte Dame bei ihrem Schwiegersohn?
Liebe Frau Schwiegermamama, konnte er sprechen, daß ich mit Ihrer Tochter verlobt bin, das sagen
Sie
, und
ich
will es Ihnen sogar glauben, trotzdem es für mich viel zu lange her ist, als daß ich mich daran erinnern könnte. Aber daß Sie diese Verlobung nun zum Anlaß benutzen, mit mir über Laken und Bettbezüge zu sprechen, das ist einfach eine Gemeinheit, und darum gehe ich jetzt auch.
|336| Sprach’s und ging. Und Elise hatte wieder einmal die Vorwürfe und die Tränen.
Sie weinte überhaupt viel in dieser Verlobungszeit, trotzdem sie auch namenlos glücklich war und ihn unendlich liebte. Aber sie hätte ihn sich doch eine ganze Kleinigkeit klarer und übersichtlicher, ein bißchen mehr wie andere Männer gewünscht – trotzdem sie ihn dann nicht annähernd so geliebt hätte. Wenn sie ihm Vorwürfe machte, wie er zu ihrer Mutter war, und was es denn eigentlich für eine Bewandtnis mit seiner Erklärung habe, er könne sich nicht mehr recht an seine »Braut« erinnern und mit »Brautens« sei es wohl überhaupt schwierig, dann konnte er ganz erstaunt antworten: Habe ich das gesagt? Dann wird es wohl stimmen!
Und wenn sie ihn dann bat und fragte, ob er sie denn gar nicht lieb habe, ob er gar nicht einmal ernsthaft mit ihr reden könne?, dann sagte er wohl: Aber ich bin ernsthaft! Ich denke wirklich, daß es mit Brautens verdammt schwierig ist. Du glaubst gar nicht, was ich für ein ernsthafter Mensch bin! Und lachte.
Nein, nichts darauf zu bauen, keine Treueschwüre, keine Liebesversicherung, kein vertrauliches Geschwätz über
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