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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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ihr künftiges Heim. Manchmal, wenn sie nachts noch wach in ihrem Bett lag, und er schlief an ihrer Seite, und sie sah das ernste, lange Gesicht mit den Sommersprossen über dem Nasenrücken, der schön gewölbten, nicht übermäßig hohen Stirn und dem schmallippigen, festen, großen Mund, dann überkam sie eine solche namenlose, unaussprechliche Angst vor ihm und dem Leben mit ihm –! Dann steckte sie den Kopf in ihr Kissen, bloß um dies schöne, harte Gesicht nicht mehr zu sehen, und weinte. Dann dachte sie sich kleine Geschichten aus, daß sie ein kleiner Vogel wäre, den ein böser Adler in den Krallen hielt, fest, ach so fest! Oder sie war eine geraubte Prinzessin, und er war der böse Zauberer, der sie bewachte, aber, wenn ihre Tränen gelinder flossen, war er auch der Prinz, der sie erlöste.
    |337| Einmal, nach einer solchen, ganz schlimmen Nacht sagte sie am nächsten Tage zu ihm, daß sie ihre Verlobung doch wohl besser lösten.
    Ihre Verlobung lösen? Jawohl, einverstanden. Von diesem Augenblick an gelöst!
    Und, fuhr sie fort, da sie sich nun nicht mehr sehen dürften, möchte er sich doch um eine andere Stellung weit von hier fort bemühen. Sie als Lehrerin könne sich ja nicht so schnell versetzen lassen.
    Sich nicht mehr sehen? Aber wieso denn?! Was sich sehen und Verlobung miteinander zu tun hätten? Und außerdem müsse er noch mindestens bis zum Schluß der Mistfahrerei auf dem Hof bleiben. Ob sie es nicht bis dahin aufschieben könnten?
    Nichts zu machen. Keine vernünftige Erklärung, kein ernstes Wort war aus ihm herauszubekommen. Drei- oder viermal in all den Jahren schickte sie ihm den Ring zurück, mit einem tränenreichen, verzweifelten Brief. Aber das tat überhaupt keine Wirkung, er kam wie vordem, als hätte sie nichts geschrieben, als sei nichts geschehen. Schließlich mußte sie ihn dann selbst an die Rückgabe des Ringes erinnern, und er sagte erstaunt: Richtig! Der liegt noch irgendwie bei mir rum. Wieso eigentlich?
    Alles Wichtigtuerei und Spielerei von dem verrückten Kerl, konnte ihre Mutter sagen.
    Aber da kannte sie ihn nun besser. Er war nie wichtigtuerisch und spielerisch. Sie hatte ihn einmal bei einem großen Hofbrand gesehen, bei dem an die zwanzig Pferde verbrannten – und die Pferde schrien! Es ist nicht leicht für einen Menschen, Pferde schreien zu hören, es ist ein ziemlich schreckliches Erlebnis. Er hatte nicht gestanden und geschaudert, er war immer wieder in den brennenden Stall, in den Hagel aus Asche und Glut gestürzt und hatte versucht, die Pferde von den Ketten loszumachen. Schließlich hatte man ihn mit Gewalt festhalten müssen, und er hatte gegen die Männer, die ihn hielten, angetobt wie ein Wilder.
    |338| Sie hatte ihn in einem seiner schrecklichen Jähzornsanfälle gesehen, wie er einen Ackerknecht, der irgendeine Roheit gegen Tiere begangen hatte, halbtot schlug. Sie kannte auch seine Kälte und Mitleidslosigkeit gegen alles, was dumm war. Dummheit ist das einzig todeswürdige Verbrechen auf dieser Welt, sagte er. Aus hundert Erlebnissen wußte sie, wie sehr er in jeder Lage, in jedem Wort ganz er selbst war. Wie er nie log, nie versteckte.
    Nun gut, sie verstand ihn nicht, warum er so zu ihr war, wie er war. Aber er mußte wohl so sein. Und sie, die vollkommen bereit war, ihre ganze Persönlichkeit und alles, was sie gewesen war und werden würde, restlos für ihn aufzugeben, sie fand sein Tun in vielen Stunden richtig.
    Schmerzen und Trauer – aber was sind Schmerzen und Trauer gegen solche Liebe! Ich könnte alles für ihn tun, dachte sie bei sich, und sie glaubte es sogar. Sie hatte sich ihm hingegeben, sie hatte mit all ihrer Gewordenheit und all ihren Anschauungen gebrochen, und es hatte ihr nicht ein bißchen, nicht soviel Reue bereitet! Kein Mann konnte glücklicher machen, kein Mann zärtlichere Hände haben als er. Seine große, breite Hand war so zart, sie fühlte jede Stelle, die ihr wohl tat, sie rann so voll von Glück, es floß über sie hinaus.
    Jetzt möchte ich sterben, dachte sie manchmal. Und manchmal sagte sie es auch. Dann konnte er mit einem Ruck aufstehen.
    Überspönig, sagte er und ging fort. Er konnte aber auch sitzen bleiben und ganz nachdenklich sagen: So leicht stirbt es sich nicht – dann möchten wir es wohl gleich alle tun. Oder aber er sagte vielleicht auch in einem seltsam verqueren Singsang: Nicht durch Wasser, nicht durch Feuer, durch die Kugeln nicht und nicht durch den Strick, nicht durch Krankheit oder

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