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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Oberlehrerin, die die Schwester Volksschullehrerin tief verachtete: Dorfkinder unterrichten? Nein, danke, meine Liebe, nichts für mich. Schon von dem Geruch würde mir übel! Fräulein von Marzahn sagt auch: es ist aussichtslos. Wahre Bildung lernen solche Kinder nie!
    Ach nein, Linda hätte auch bestimmt das Fenster nicht aufgemacht, hätte vielleicht sogar um Hilfe geschrien – und er war doch nur ein Junge!
    Der Papa aber, der liebe, gute Papa, der schon ein Jahr nach ihrer Geburt gestorben war, der hätte sicher alles Verständnis für sie gehabt und hätte im Gegenteil gesagt: Das schadet alles nichts, Eli. Das wird dir nur guttun als kleine Abwechslung. Daß der Papa so geurteilt hätte, dessen war sie sicher, denn Mutter hatte ihr nicht umsonst hundertmal gepredigt, sie sei genauso wenig strebsam und genauso lebensuntüchtig wie ihr Vater, und nie zielbewußt und immer zerfahren. Aus dem Bild auf der Bodenkammer hatte sie gut gesehen, daß sie die Augen und das Haar und die Nase auch vom Papa hatte. Aber das Beste war doch, daß der Papa genauso wie sie »bloß« Volksschullehrer gewesen war und mit gar keinem Trieb zu »was Höherem« wie die Mama, die es immerhin durch Pflege von Erbverwandten zur dreifachen Hausbesitzerin gebracht hatte. Linda war ja auch Oberlehrerin an einem Lyzeum geworden, Linda war auch anders. Von ihr stand ja sogar manchmal ein Aufsatz in der Sonntagsbeilage der Grünen Tagespost.
    Elise lag schön warm und mollig in ihrem Bett. In unregelmäßigen Abständen tropfte es einschläfernd und gemütlich auf den Schirm über ihrem Kopf, den sie auf ihren Arm gelegt hatte, und ihretwegen hätte es jetzt ruhig noch vierzehn Tage |328| weiter durchregnen können. Dann würde dieser junge Gäntschow wenigstens noch öfter kommen müssen.
    Vielleicht hatte er sich das auch überlegt, denn so früh sie auch am nächsten Morgen aufgestanden war und alles fertiggemacht hatte, kein Dachdecker ließ sich blicken, weder um sieben noch um acht. Da aber kamen ihre neunundzwanzig Kinder, und sie hatte an anderes zu denken als an Dachdeckerei und nächtliche Besuche, und so war sie wirklich ganz redlich überrascht, als nach einem Klopfen um zehn herum auf ihr mechanisches Herein schon wieder der Herr Gäntschow eintrat.
    Guten Morgen, Fräulein
Elise
Schütt. Gut ausgeschlafen? Ich wollte nur …
    Trotz all seiner bodenlosen Frechheit verstummte er unter dem neugierigen und tadelnden Feuer von sechzig Blicken.
    Zwei Augen, zwei große strahlende, braune Augen, und es waren die tadelndsten von allen, sagten fremd und kühl zu ihm: Hier ist Schule, Herr Gäntschow, ich gebe hier Unterricht.
    Natürlich, sagte er, das verstehe ich schon. Das ist ja Ihr Beruf. – Er grinste sie an.
    Also bitte, sagte sie, sah zur Tür und lächelte nicht die Spur.
    De Dachdecker kummen um dreien, Frollein! brüllte er plötzlich los im tiefsten Baß und war wieder aus der Tür.
    Und sie hatte eine Viertelstunde zu tun, bis sie die ganz aus dem Häuschen geratenen Kinder wieder zur Räson gebracht hatte. Immer von neuem quietschte eine Stimme los: De Dachdecker kummen um dreien!
    Sie hatte die leider nur zu sehr begründete Befürchtung, daß sämtliche Kinder heute mittag bestimmt nicht vergessen würden, diese Geschichte im Dorf herumzuerzählen, und daß sie die Last davon würde tragen müssen.
    Aber natürlich, als er anderthalb Stunden hinter seinen Dachdeckern her um halb fünf ankam, auf dem Dachboden herumkroch und anordnete, daß die Dachlatten auch erneuert werden müßten, und daß sie immer nur ein kleines Stück |329| abdecken sollten: Sonst schwimmt uns unser Fräulein noch ganz weg, und das wollt ihr doch wohl nicht – also natürlich, als er da vom Boden runterkam, hatte sie doch eine Tasse Kaffee für ihn fertiggemacht, und es klang etwas schwächlich, als sie mahnend zu ihm sagte: So etwas wie heute früh in der Schule dürfen Sie aber nie wieder machen, Herr Gäntschow! Nein? fragte er bedauernd. Hat es Ihnen keinen Spaß gemacht? Mir hat es einen Riesenspaß gemacht! Ich habe noch den ganzen Heimweg gelacht, weil ich immerzu an die Gesichter von den Kindern denken mußte.
    Das ist es ja eben, Herr Gäntschow, sagte sie ernst, die Kinder sollen doch in der Schule was Ordentliches lernen. Dafür bin ich doch verantwortlich, sie sollen doch keinen Spaß haben.
    Ach nein, natürlich nicht, sagte er ernst. Ich tue es auch nie wieder. Aber nach der Schule ein bißchen …?
    Ich habe sehr viel zu tun,

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