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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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zu Haus? Dies Geradezu in der Frage erschreckte sie, daß sie zusammenfuhr. Ich … fing sie an, brach ab und sah ihn hilflos an.
    Genau wie ich mir gedacht habe, sagte er befriedigt. Aber das sage ich Ihnen, wenn Ihnen einer von den Kerls hier im Dorf dumm kommt, dann sagen Sie es mir, und ich schlage dem Flachkopf alle Knochen entzwei.
    Vorläufig kommt mir nur der Regen dumm, sagte sie, schon wieder lächelnd.
    |325| Wird erledigt, stellte er fest, sobald wie möglich. Guten Tag.
    Und überraschend war er fort.
    Es schien ihr, als sei es tief in der Nacht, als sie merkte, daß jemand fluchend an ihrem Fenster herumfuhrwerkte. Jedenfalls hatte sie schon eine ganze Weile geschlafen. Sie erschrak zu Tode. Aber sie nahm all ihren Mut zusammen und rief: Ist da wer?
    Keine Antwort. Aber tolleres Fuhrwerken, tolleres Schimpfen.
    Sie dachte, irgendein Betrunkener habe sich in seinem Weg geirrt, schlüpfte leise aus dem Bett, zog im Dunkeln ihren Mantel über und verkroch sich bei der Stubentür.
    Eine Stimme, die sie zu kennen meinte, schrie wütend: Machen Sie doch mal auf! Machen Sie doch mal Licht! Hören Sie doch endlich!
    Zwar machte sie kein Licht, aber sie ging an das andere Fenster, öffnete es eine Spalte und fragte: Was machen Sie denn hier, Herr Gäntschow? Sehen Sie gleich mal, daß Sie nach Haus kommen!
    Da sind Sie?! Was haben Sie hier für gottverdammten Stacheldraht im Garten! Die ganzen Beine habe ich mir zerrissen und verwickelt!
    Aber wer geht denn auch in solcher Regennacht in fremde Gärten! Was wollen Sie denn eigentlich?
    Ich wollte Ihnen nur erzählen, daß morgen früh um sieben schon die Dachdecker kommen, damit Sie dann nicht erschrecken.
    Und darum erschrecken Sie mich in der Nacht? – Wenn Sie wenigstens nicht so gräßlich fluchen wollten. Haben Sie sich denn schon wieder gerissen?
    Natürlich. Verdammter Dreck! Und ich habe mir gestern nachmittag bei Tageslicht den Garten noch so genau angesehen!
    Ach, sagte sie gedehnt, das ist ja lieblich. Da wußten Sie also gestern nachmittag schon, daß Sie mich heute nacht besuchen wollten? Herr Gäntschow, Herr Gäntschow!
    |326| Es ist ja gar nicht Nacht, sagte er empört, es ist ja erst halb zehn.
    Richtig, sagte sie, und darum gehe ich wieder ins Bett. Gute Nacht, Herr Gäntschow. Kommen Sie gut aus dem Stacheldraht und nach Haus.
    Halt, brüllte er, halt, Fräulein.
    Was ist denn noch? fragte sie ungnädig, mir wird kalt.
    Sagen Sie mir wenigstens Ihren Namen. Ich mag die Leute nicht danach fragen.
    Schütt, sagte sie, Schütt. Gute Nacht, Herr Gäntschow.
    Ach Scheiß Schütt, sagte er wütend, Ihren Vornamen will ich wissen.
    Nochmals gute Nacht und guten Heimweg, sagte sie und klappte das Fenster zu, daß die Scheiben klirrten.
    Er spektakelte draußen noch eine Weile, und sie lag in ihrem Bett, die Knie hochgezogen, und schüttelte sich vor Lachen. Was für ein großer Junge! Was für ein großer, dummer Junge. Sie mußten ungefähr gleichaltrig sein, aber wie überlegen kam sie sich vor. Noch keinem Menschen außer ihren Schulkindern hatte sie sich je so überlegen gefühlt. Dummheiten, hitzig, mit dem Kopf durch die Wand, uranständig, taprig wie ein Dreimonatshund, sie begriff ihn auf den ersten Schlag. Sie lag in ihrem Bett und lachte, daß ihr die Tränen die Backen herunterliefen. Gottlob, daß in ihrem kleinen, stillen Dasein in Klein-Kirschbaum nun auch so etwas auftauchte, etwas Junges, mit dem und über das man lachen konnte. Die Bauern sahen sie alle von weitem komisch an und wurden wer weiß wie verlegen, wenn sie zu ihnen sprach. Und die Bauernfrauen wurden alle spitz und kühl, wenn sie die Lehrerin nur sahen. Als wollte die ihnen allen den Mann wegnehmen. Sie saß so schrecklich allein in ihrem kleinen, roten Schulhaus, sicher war es schön, daß sie von Haus und der Mutter und der überlegenen Linda fort war, und daß kein Mensch ewig zu ihr sagte: Tu dies und tu das, und sie »Dummchen« nannte (Dummchen war gewissermaßen ihr Rufname zu Haus) – aber bisher hatte sie von ihrer Freiheit noch nicht viel gehabt.
    |327| Sicher wäre Mutter nicht mit ihr einverstanden gewesen, schon nicht mit dem Gespräch am Nachmittag und erst recht nicht mit dem aufgemachten Fenster in der Nacht – aber das war ja das Gute, daß Mutter es jetzt unter keinen Umständen rauskriegen konnte. Und – ätschebätsche! – Linda auch nicht. Linda auch nicht, trotz des scharfen Klemmerblicks über den vorgebauten Busen weg, Linda die hochnäsige

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