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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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werden.
    Es schlagen aber keine Wellen zusammen, sondern die drei sitzen ganz ruhig an ihrem Tisch, ohne ein Wort. Wendland hat sich behutsam eine neue Zigarre angebrannt, und nun sitzt er da, ein wenig fahl, aber in guter Haltung. Nach einer Weile sieht er, wie Gäntschows Hand sich über den Tisch tastet und sich auf Christianes Hand legt: Wendlands Gesicht verzieht sich einen Augenblick, aber schon sitzt er wieder ruhig da.
    Er ruft den Kellner heran und bestellt noch eine Flasche Sekt, er beginnt zu trinken und sieht nicht mehr nach den beiden hin, sondern trinkt behutsam und in guter Haltung ein Glas nach dem andern.
    Plötzlich aber steht Christiane auf. Sie steht ganz groß und hell und verzaubert da – es ist seltsam, wenn man die große, strahlende Frau sieht, muß man doch an ein kleines Mädchen denken, das verlaufen und fassungslos in einem herrlichen Zaubergarten steht …
    Christiane also ist aufgestanden, und mit ihrer traumschweren Stimme, wie von weit her, sagt sie: Ich denke, wir fahren nach Haus.
    Sofort steht Gäntschow auf und geht vor ihr her aus dem Lokal. Es ist halb zwölf. Der völlig vergessene Wendland hat zu tun, daß er schnell genug den Kellner zum Bezahlen an den Tisch bekommt. Er würde sie aber doch nicht mehr erreicht haben, wenn nicht grade in der Garderobe ein Schub neuer Gäste angelangt wäre und die beiden nicht noch auf ihre Überkleider hätten warten müssen. So aber kommt er mit ihnen in das Auto und sitzt qualvoll auf dem Vordersitz, und in regelmäßigen Abständen fällt der Schein einer Straßenlaterne in den Wagen und beleuchtet die beiden Gesichter da vor ihm, die beiden ernsten, weltentrückten Gesichter …
    Das Auto fährt vor, und es ist wieder so, daß die beiden ohne ein Wort vorangehen, und er muß erst den Chauffeur |486| bezahlen, und nun läuft der gemessene, ruhige Herr Wendland beinahe die Treppen zu seinem Zimmer empor.
    Aber es ist alles in Ordnung. Da sitzt auf einem Sessel am Fenster Christiane, noch genau so, wie sie gekommen ist, im Mantel … Und sieht vor sich hin.
    Darf ich dir behilflich sein? fragt Herr Wendland nach einer Weile.
    Und sie steht gehorsam auf, und er nimmt ihr Mantel und Hut und Handschuhe ab. Aber grade wie er diese Dinge in seiner sorgsamen Weise in den Schrank legt und hängt, geht sie an ihm vorüber. Er sieht es in dem Spiegelglase auf der Innenseite der offenstehenden Schranktür, geht an ihm vorüber, mit einem ernsten und doch freudigen Gesicht. Die Zimmertür klappt, und Wendland ist allein.
    Er schließt sorgfältig den Schrank. Dann geht er mit etwas unbeholfenen Schritten zum Tisch hin. Er hält sich wie blind an seiner Kante, findet aber den Sessel, in dem sie eben gesessen, und läßt sich nieder. Er sitzt ein wenig vorgebeugt da. Auch in dieser Stunde äußerster Verzweiflung bemüht er sich um Ordnung und Sauberkeit: als die Asche seiner Zigarre abzufallen droht, sieht er sich aufmerksam auf dem Tisch um. Er findet keinen Aschenbecher, aber da liegt das Buch, in dem sie heute nachmittag gelesen. Er streift die Asche in dem Buch ab, dann schließt er es.
    Wieder sitzt er da, von der Straße branden der Lärm, das Jubeln und Rufen, Knallen und Tuten der Mitternachtsstunde zu ihm empor. Er fährt einmal zusammen, dann sitzt er wieder unbewegt da.
    Woran denkt er? Vielleicht denkt er an einen Strohhaufen neben der Dreschmaschine auf Fiddichow, die Leiter war ja zu umständlich, aber vielleicht denkt er auch an gar nichts.
    Nach einer Weile dann steht er auf. Er geht aus dem Zimmer, er löscht das Licht sorgfältig, dann schließt er das Zimmer ab, steigt die Treppen hinunter zum Nachtportier. Er erkundigt sich nach der Zimmernummer eines Herrn Gäntschow aus Warder auf Fiddichow.
    |487| Jawohl, zweihundertsechzehn, derselbe Flur, wo die Herrschaften wohnen, nur sehr viel weiter hinten. Nein, nicht nach der Straße, nach dem Hof hinaus.
    Danke schön, sagt Herr Wendland und gibt dem Nachtportier etwas Geld. Er macht ein paar Schritte, bleibt stehen und fragt: Sie haben wohl nicht etwas Kognak für mich?
    Der Portier lächelt: Aber selbstverständlich! Heute in der Silvesternacht. Darf ich ihn auf das Zimmer bringen lassen? Eine Karaffe vielleicht? Und wieviel Gläser?
    Nein, hier, sagt Herr Wendland und setzt sich in einen Sessel in der Halle.
    Es ist eine Galgenfrist. Es ist noch nicht alles entschieden und vorbei. Er sitzt hier und trinkt eine Karaffe Kognak leer.
    Sie ist leer, und jetzt steht er auf und steigt

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