Wir hatten mal ein Kind
vermißte er die Adresse. Dann hebt er ihn gegen das Licht, wie um zu sehen, was darin sein könnte. Sie gibt einen kleinen, ungeduldigen Laut von sich – wie er sie quält, oh, wie er sie haßt!
Er nimmt umständlich ein Papiermesser, sieht es prüfend an, dann schlitzt er bedächtig den Umschlag auf. Eine Karte liegt darin: gedruckt, Golddruck, mit zwei schwingenden, goldenen Glocken, Schrift: Fröhliches Weihnachtsfest.
Es ist ja wohl nicht möglich! Das ist ja nun doch wohl nicht möglich! Er dreht die Karte hin und her in den Händen, eine rasende Wut ist in ihm – was soll das?! Soviel Dummheit, das ist schon Frechheit. Schamlosigkeit!
Plötzlich merkt er, daß auf der Rückseite der Karte etwas geschrieben steht. Er liest: Mein größter Weihnachtswunsch: Versöhnung! Deine Elise.
Er reißt geradezu aus der Federschale den großen Rotstift, schmiert querdurch: Abgelehnt! und gibt ihr die Karte: Bitte.
Ohne sie anzusehen, nimmt er Reithandschuhe, Peitsche, geht aus dem Zimmer, schließt die Tür hinter sich, geht auf |481| den Hof, sattelt den Harras, führt ihn vor den Stall. Als die Hufe auf dem Pflaster klappern, öffnet sich die Tür. Elise läuft heraus. Er steigt auf das Pferd, aber sie ist schon da –: Wenn du auch heute zu ihr reitest, verzeihe ich es dir nie! schreit sie.
Ich fürchte, sagt er vom Pferd herunter, du nimmst dir zu viel vor. Du wirst mir auch das verzeihen. Ich werde dir noch ganz andere Dinge antun müssen, bis du begreifst, was los ist.
Er drückt die Schenkel an und reitet langsam und im Schritt ab nach Fidde. Auf seinem Schreibtisch liegt das Heft über die Regenwürmer.
Nun aber saß er auf Fidde bei den Wendlands, und Warderhof und Elise waren vorbei und vergangen. All das war nichts und schon längst nicht mehr wahr. Es berührte ihn nicht mehr. Es ging ihn nichts mehr an. Früher war es doch wenigstens noch so gewesen, daß er manchmal zurückdachte an die Elise von dunnemals aus dem roten Lehrerhause. Aber auch das war vorbei. Vielleicht hatte sie sich zu oft darauf berufen, mit Worten und allen seinen Briefen und mit einem Seufzer, einem Lachen, das aus verschollenen Tagen herüberklang. Aber vielleicht war es auch nicht echt gewesen. Welch ein trübseliges, graues, unechtes Metall.
Tia dagegen – ach, sieh da, diese Jugendzeit blüht immer strahlender auf, aus allen Ranken knospen die Rosen hervor. Ist es der Duft, den er damals auf dem Bullenberge gerochen oder der von neulich, als sie mit einer Rose hinter ihrem Manne her nach Reeses Schwedischem Hof ritt?
Wie Tia lacht. Ach, jawohl, auch sie ist glücklich. Sie kommt auf alte Schulgeschichten … Jawohl, Hinnerk, keiner konnte ein so unschuldiges Gesicht wie du machen, wenn es etwas auszufressen gab.
Und ich glaube, das können Sie noch, Gäntschow, sagte Wendland.
Man macht seine Gesichter nach den Leuten, sagte Hannes. Manche müssen andere Gesichter kriegen, als man grade da hat. Und was müßte ich zum Beispiel für Gesichter kriegen? fragte Wendland.
|482| Sie –? fragte Gäntschow überrascht. Ich glaube, ich habe darüber noch nicht nachgedacht.
Und wenn Sie darüber nachdenken würden? fragte Wendland mit einer ungewohnten Hartnäckigkeit.
Christiane sah erstaunt von einem zum andern.
Wenn ich darüber nachdenken würde? sagte er und überlegte, ich denke, das Gesicht, das grade da ist. Es würde immer recht sein.
Danke, sagte Wendland und lehnte sich in seinen Sessel zurück. Das beruhigt. Danke wirklich sehr.
Und dann sind sie alle einen Augenblick still.
Etwas später, grade in der Sekunde, wo das Schweigen wirklich unangenehm werden würde, sprechen sie natürlich alle gleichzeitig los. Und schon lachen sie wieder, sind in bester Stimmung und legen die Einzelheiten für eine Silvesterfahrt nach Berlin fest.
Nein, es war gar nichts. Ein kleiner Mißton, der Uranfang einer leisesten Plänkelei – Christiane hatte es verstanden, und Johannes hatte es auch verstanden. Plötzlich ist er hellhörig geworden auf einem Ohr, der ruhige, zurückhaltende Herr Wendland. Vielleicht läuft er schon länger mit leichten Herzbeschwerden umher. Ihr fällt plötzlich ein, daß er die ganze letzte Zeit nicht mehr allein in den Krug zum Trinken gefahren ist. Vielleicht ist der alte Kummer leichter geworden über einem neuen? Es liegt schon in seiner Linie, der Linie ruhiger Wohlanständigkeit und Zurückhaltung, daß er sich so nebenbei mit einer Frage erkundigt, was er von dem Gegner ungefähr zu
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