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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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geworden!
    Sie singt, oh, wie sie singt. Sie klettert in alle Himmel, sie stäubt aus ihnen allen Weihnachtsschnee und Sternenglanz auf die Kinder hinab – warum mußtest du nur an mich geraten?! Und natürlich hältst du mit aller echt weiblichen Zähigkeit den falschen Kurs fest. Da müssen wir lang. Und wenn wir zehnmal Schiffbruch erleiden. Du sollst sehen, es ist doch der richtige Kurs!
    Ich hoffe, Elise, ich hoffe sehr, mein Mädchen, dieser Stimmglanz kommt heute abend ausnahmsweise einmal nicht von meinem Alkohol. Aber ich fürchte, ich werde dich in einer der nächsten Wochen einmal so kräftig aus meinem Hause werfen müssen, daß alle deine Hoffnungen unter einem gesunden Zorn versinken und du dich endlich wieder auf deine eigenen Beine stellst. Geld könntest du schon von mir haben. Aber dein Schulrat aus Klein-Kirschbaum kann dir etwas Besseres geben, nämlich eine Lehrerinnenstellung und damit Arbeit und soviel anstrengende Beschäftigung für dein Hirn, daß die Nebendinge versinken. In diesem Hause hast du ja nichts zu tun, als alte Briefe zu lesen.
    Der Gesang drüben ist verstummt. Man hört die Kinder aufgeregt reden und lachen. Manchmal die helle Stimme von Elise. Gäntschow kehrt zu seinen Regenwürmern zurück. Siehe da, dieser tüchtige Gelehrte, der ein Mann ist, der weiß, worauf es ankommt, hat den Darminhalt der Regenwürmer, von zehntausend Regenwürmern, untersucht. Er klingt nicht glaubhaft, er scheint lögenhaft to vertellen.
    |479| Aber diese Regenwürmer scheinen überirdische Tiere zu sein: sie fressen vorzugsweise böse Bakterien mit ihrer Erdkost, etwa im Darm gefundene nützliche rutschen gewissermaßen nur versehentlich dazwischen.
    Wenn man nur diesen Gelehrten trauen könnte! Sie beweisen alles, was sie zu beweisen entschlossen sind. Und sie sehen nicht, was vor Augen ist, sondern was sie sehen wollen.
    Die Kinder trappeln leise über den Flur. Ein Kleines lacht selbstvergessen laut auf und wird sofort in tiefstes, beschämtes Stillschweigen hineingerüffelt. Sicher wissen die Kinder alle, daß hinter jener Tür der böse Mann sitzt, der ihren Pastor ins Meer geworfen hat, der da hockt wie ein Zauberer in seiner Höhle.
    Nein, nun nimmt Gäntschow erst einmal nicht wieder das Regenwürmerheft vor. Er schenkt sich ein neues Glas ein, trinkt auch einen Schluck, und nun sitzt er da und wartet. Es ist ja Weihnachten, die Glockenstimme hat geläutet und gejauchzt, Kinder haben gelacht und gejubelt – was soll da sein? Alles muß seine Ordnung haben auf dieser Welt. Olga hat ihn schon rübergebeten, und also wird es gleich klopfen.
    Es dauert noch eine Weile. Er hört schnelles, dann zögerndes Herumgehen auf dem Flur, das Rascheln ihres Kleides, und nun hat sie doch wohl allen ihren Mut gesammelt: es klopft schüchtern gegen seine Tür.
    Er trinkt noch einen Schluck und sieht die Klinke an, aber die Klinke bewegt sich nicht. Soviel Mut haben wir nun doch nicht, daß wir ohne Herein hereinkommen.
    Aber nun klopft es noch einmal, fast leiser als das erste Mal. Gäntschow möchte, daß es bald vorbei ist. Plötzlich ist er doch gereizt. Sie lernt und lernt es eben nicht, daß Aus: Aus und Ende: Ende heißt. Sie denkt, alle zerbrochenen Töpfe sind zu kitten, und sie hat den rechten Allerweltsleute-Aberglauben an das neue Leben, das man anfangen kann.
    Herein! ruft Gäntschow.
    Aber die Klinke rührt sich nicht. Statt dessen hört er ein leises Rascheln auf der Erde. Siehe da, es wird ein Brief |480| durchgeschoben. Gäntschow steht einen Augenblick und sieht auf den weißen Briefumschlag, dann schaut er sich die Tür an. Nein, sie hat sich nicht gerührt. Elise steht noch immer hinter der Tür. Vielleicht sieht sie sogar durchs Schlüsselloch. Feige, sagt er sich, noch feiger, als ich gedacht habe!
    Dann erinnert er sich, daß auch die, die er liebt, ein Weib ist, und sein Zorn steigert sich, als setze Elise die andere mit ihrem Treiben herab, schände auch die Christiane.
    Er geht rasch zur Tür, hebt den Brief auf. Dann öffnet er mit einem Ruck die Tür: richtig, sie steht dahinter. Aber durchs Schlüsselloch hat sie wohl nicht gesehen. Sie ist dunkelrot. Er sieht, daß sie mit Tränen kämpft. Er sagt kurz zu ihr: Du kannst auf Antwort warten.
    Er zeigt auf einen Stuhl. Sie wirft einen ängstlichen Blick auf sein Gesicht und geht dann schnell auf den Stuhl zu, aber sie setzt sich nicht.
    Er hat die Tür wieder geschlossen. Er sieht den weißen Briefumschlag mißbilligend an, als

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