Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
runzelte die Stirn, als er an das Wachsen
dieser
Bäume dachte, drehte sich um und sah wieder nach dem Schwedischen Hof.
    |518| Auf dem Hof in der offenen Torfahrt stand jetzt der Reese. Er fuhr zusammen, als er Gäntschows Ruf hörte, erwiderte dann aber das Guten Morgen und verschwand im Hof.
    Gäntschow ging rasch in das Gastzimmer des Hotels und bestellte sich dort bei dem Mädchen ein Frühstück. Er war der einzige Gast in dem Zimmer, heimgekehrt auf seine Insel. Er saß da allein und wartete auf Herrn Reese. Aber Herr Reese kam nicht. Das Mädchen brachte das Frühstück. Er sagte ihr, daß er Herrn Reese sprechen möchte. Herr Reese ist fortgefahren. Er sah dem Mädchen an, daß es log. Aber er sagte nur gleichmütig: Schön, schön, und goß sich seinen Kaffee ein.
    Er wartete, bis er wieder allein im Gastzimmer war, dann trat er auf den Gang hinaus, ging den Gang hinunter, stieg die Treppe nach oben hinauf, klopfte kurz an Reeses Tür und trat ein. Reese saß mitten im Zimmer an einem Tisch und frühstückte auch.
    Guten Morgen, Nachbar, sagte Gäntschow. Ich wollte mir nur einmal ansehen, wohin du gefahren bist.
    Reese stand langsam auf. Trotz seines Silberhaars konnte er noch sehr erröten. Er tat es. Hat das dumme Mädchen dir gesagt, ich bin weggefahren, Hannes? Dies Mädchen ist wieder einmal zu rein gar nichts zu gebrauchen. Ich wollte gleich wegfahren, sollte sie dir sagen, Hannes.
    Ja, ja, sagte Gäntschow gedankenvoll. Er sah sich den silberhaarigen Apostel in Schlafrock und Hausschuhen aufmerksam an, er verstand nicht mehr, daß er aus diesem Munde sein Urteil hatte hören wollen.
    Also, denn guten Appetit, Reese, sagte er und ging aus dem Zimmer.
    Er war schon beim Treppenabsatz, als er den andern hinter sich rufen hörte: Hannes! Hannes!
    Was ist los? fragte er ungeduldig und drehte sich um.
    Reese war jetzt nicht mehr rot, sondern sehr blaß. Ich wollte dich noch bitten, Hannes, nicht mehr in meinem Lokal zu verkehren. Und unter dem Blick des andern: Ich muß auf meine Gäste Rücksicht nehmen.
    |519| So ist es also doch noch eine Art Urteil geworden, murmelte Gäntschow und lachte plötzlich böse los: Das wäre so eine Sache, was, Nachbar, wenn der Wendland an einem Tisch säße und versöffe seinen Kummer und ich am andern? Nein, richtig, seine Ordnung muß aller Kram haben. Ich werde in Rieck im Löwen saufen müssen. Ich sehe es ein. Das macht sich dann viel besser.
    Er stieg eilig die Treppe hinunter. Schon ärgerte er sich, daß er dem Reese überhaupt geantwortet hatte. Er machte jetzt so vieles falsch. In letzter Zeit war ihm so vieles mißglückt. Es war unmöglich, so weiter zu leben. Er hatte sich zu tief mit den Menschen eingelassen. Er mußte da wieder raus.
    Er holte sich aus der Gaststube seine Sachen. Das Frühstück ließ er stehen und ging nun eilig die Dorfstraße wieder zurück …
    Diesmal sah er aufmerksam um sich. Es waren kaum Menschen unterwegs. Aber die er sah, kannte er. Doch sie schienen ihn nicht zu kennen. Nun, nun, sagte er beruhigend zu sich. Aber er mußte doch daran denken, daß er dem alten Wehrle da, der mit so krummem Rücken in einer Nebengasse verschwand, im letzten Herbst noch einen Kasten Kartoffeln geschenkt hatte. Er war nicht etwa erbittert – das wußte er ja nun schon lange, daß die Menschen niemanden so hassen wie den, der ihnen Wohltaten tut: sie warten nur darauf, daß sie sich für die Wohltaten rächen können.
    Also, nun kam er auf den Windmühlenhügel. Es wäre lächerlich gewesen, jetzt noch kurz vor der Entscheidung den Schritt zu verlangsamen, also beschleunigte er ihn schon.
    Er hatte recht gesehen. Natürlich hatte er recht gesehen. Er war ja noch normal. Seinen Augen konnte er trauen: baumlos lag im flachen Lande der Hof. Keine Linde mehr, nichts mehr von Pappeln. Ach, von hier aus müßte er wenigstens die Obstbaumwipfel aus dem kleinen Bauerngarten sehen, aber es war brandleer über den Dächern, nur blauer Himmel.
    |520| Er stand da, lange, gedrängt atmend. Was die Mutter begonnen, hatte die Frau vollendet. Aber schon dachte er nicht mehr daran. Er dachte an die Bäume. Jahrhunderte hatten die Linden gebraucht, um das zu werden, was sie gewesen waren: fort! Abgehauen und fort! Fort die Pappeln, fort die Obstbäume!
    Er würde nie mehr den Hof erleben, wie er ihn gekannt hatte. Er mochte pflanzen, düngen und treiben, was und wie er wollte – fort und vorbei.
    Er stand lange da. Etwas löste sich in ihm. Ach, schon war es nicht

Weitere Kostenlose Bücher