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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Sie mit. Das Geld reiche ich Ihnen zum Fenster hinaus. Und vergessen Sie unter keinen Umständen das Tuch …
    Dann stand Christiane noch eine Weile in ihrem Zimmer. Sie fror, und am liebsten wäre sie wieder ins Bett gegangen, trotzdem sie wußte, daß sie nicht mehr würde schlafen können. Aber sie hatte das Gefühl, als müßte sie warten. Und so hörte sie denn lange aufmerksam auf das Laut und Leise der Stimmen im Nebenzimmer. Stand und lauschte, bis die sich beruhigten und sie sich sagen konnte, es hatte sich wieder einmal eingerenkt. Mit ein bißchen Lüge eingerenkt. Für nichts und gar nichts eingerenkt.
    Da aber war sie nun in der rechten Stimmung, ihren Brief an den Hannes zu schreiben. Und sofort setzte sie sich hin und schrieb los. Es fehlte ihr nicht an Stoff, und so füllte sie Seite um Seite – und schließlich lehnte sie sich zurück und überlas das Geschriebene.
    Während sie aber so saß und las, fühlte sie eine leichte Bewegung unter ihrem Herzen. Einen Augenblick stand es vor Schrecken still, und dann klopfte es rascher und rascher vor stürmischer Freude, daß sie die Hand darauf legte, wie um es schweigen zu machen, daß es den schlaftrunkenen Ruf des Schläfers nicht übertöne.
    Der aber meldete sich nicht wieder, so lange sie auch mit vorgeneigtem Kopf achtsam und stille horchte. Es war, als |514| habe nur ein sachter Finger einmal mahnend angeklopft … Dann nahm sie den Brief und riß alle Bogen durch … Was war das schon? Vorwürfe, Beschuldigungen, Ermahnungen – wohin hatte sie sich denn verloren? Sie hatte doch einmal von sich sagen können – und das war nicht sehr lange her – ich bin »die Christiane«.
    Sie saß eine Weile aufmerksam da und dachte nach. Sie dachte an den Boten, den sie dem Hannes schickte. Sie dachte an die vergangene Nacht mit dem grausig krächzenden Weckruf. Sie dachte an seine Unbekümmertheit, mit Menschenschicksalen umzuspringen, und sie dachte zuerst und zuletzt und allermeist an den mahnenden Schläfer in ihrem Leib.
    Dann nahm sie ihre Füllfeder und schrieb quer über den ganzen Bogen: Liebster Hannes, es geht um den Hals. Deine Christiane. Und nun legte sie sich wirklich ins Bett.
    Draußen war es ganz hell. Die Sonne war ihre Bahn über die Kiefern hochgestiegen und erfüllte den ganzen Garten mit ihrem Licht. Die Vögel waren längst wach. Aus dem Walde rief und lockte es.
    Sie lag so schön und säuberlich zwischen den kühlen Leinentüchern. Sie hatte die Augen zugemacht. Und was für diesen Morgen zu tun war, das hatte sie getan.
    Nun lag sie da und konnte warten. Sie hatte alle Zeit, die Gott werden läßt, und schließlich rührte es sich dann wohl einmal wieder.
    Um etwa die gleiche Stunde wurde Gäntschow in seinem Fiddichower Zuge wach. Der Zug hielt bei Fiddichower Fähre. Am andern Ufer des Boddens standen ein paar Häuser. Ein ganz leichter silbriger Dunst lag über dem Wasser, die Sonne schien stark und fröhlich.
    Er stand auf, stieg aus dem Wagen, und während die Lokomotive umständlich einen Güterwagen auf die eifrig tickende Benzolfähre schob, ging er ein wenig auf der Landstraße neben den Schienen hin und her. Sein Kopf war noch dumpf und trübe, so wie sein Schlaf dumpf und trübe gewesen war, |515| erfüllt mit häßlichen, ungestalten Träumen. Er hatte einen widerlichen Geschmack im Munde. Ein peinigender, qualvoller Zorn erfüllte ihn. Er hätte sie jetzt hier haben mögen, diese Jammergestalten, die Bieratz, Haase, Hundertmark. Die Zechkumpane der vergangenen Nacht, er hätte es ihnen wohl weisen mögen!
    Mit erbittertem Ekel dachte er an ihr Saufen, ihre zotigen Witze, die hochblonde Mamsell aus Berlin mit ihrer halb sentimental, halb frech frisierten Schnauze. Er dachte daran, wie er sich mit Scherzen und Schmeicheleien hatte entwürdigen müssen, um diesen zwei Zentnern Menschenfleisch Bieratz hundert Mark abzujagen – und wieder stellte sich bei ihm das kühle, beherrschte Gesicht Wendlands ein.
    »Ein anständiger Mensch begibt sich nicht in solche Lagen.«
    Was war mit ihm los? Wie kam es, daß ihm letzten Endes bisher im Leben alles schiefgegangen war?
    Er brüllte eine alte Bauersfrau, die kopflos wie ein Huhn zu der mit dem Güterwagen abstoßenden Fähre hinunterlief und ihn dabei anrannte, mit einem »dämliches Frauenzimmer, verdammtes« an, drehte sich um und stellte sich wieder an die Uferkante.
    Der leichte Wind, der vom Wasser kühl heraufwehte, tat ihm gut. Er hatte jene salzige Frische, die es an

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